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Stichtag: 01. Juli 1969 - Eingemeindung Obrighoven-Lackhausen und Flüren

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In den 1960er Jahren setzte sich in allen größeren Bundesländern der Gedanke durch, dass die überkommene und meist bis ins 19. Jahrhundert zurückgehende Gemeindestruktur mit einer modernen Raumordnung nicht mehr vereinbar ist. Auch in Nordrhein-Westfalen wurde die Frage der kommunalen Neugliederung hitzig debattiert und ab dem 1. Januar 1966 auch praktisch umgesetzt.

In der Stadt Wesel sind Gebietsreformen oder interkommunale Zusammenarbeiten schon früh erörtert worden. Einen wichtigen Meilenstein erreichte Stadtdirektor Reuber 1952 mit der von ihm betriebenen Gründung eines Sparkassenzweckverbandes. Seit 1950 hatte er dazu mit Banken und benachbarten Gemeinden verhandelt. Innerhalb von zwei Jahren wurde eine Übereinkunft zwischen der Stadt Wesel, der Gemeinde Obrighoven-Lackhausen und den Ämtern Schermbeck und Ringenberg erreicht, sodass sich der Verband zum 1. Oktober 1952 konstituieren konnte. Der Weseler Stadtdirektor hatte dazu intern verlautbaren lassen, dass er den Zweckverband unter „kommunalpolitischen Gesichtspunkten“ sehe und somit als Teil der seiner Meinung nach längst notwendigen Gebietsreform.

Nachdem Anfang der 1960er Jahre Wesels industrielles Ansiedlungsprojekt mit den Betriebseröffnungen von Delog (1955), Siemens (1958) und Philips (1960) seinen Höhepunkt überschritten hatte und neue Industrieflächen zunehmend zu Mangelware wurden, musste Reuber das unliebsame Thema der kommunalen Neugliederung erneut angehen. Er sprach dabei – die Probleme vorausahnend – von einem „Kräutchen-rühr-mich-nicht-an“.1965 bildete Reuber für die Neugliederung eine Arbeitsgruppe, in der Pläne zur sinnvollen Vereinigung von Nachbargemeinden debattiert werden sollten. Auch zahlreiche Gespräche mit Düsseldorfer Ministerien standen auf der Agenda.

Am 11. März 1968 legte Stadtdirektor Reuber dann seine „Gedanken zur kommunalen Neugliederung im Lippemündungsgebiet“ vor, aus denen sich seine Idealvorstellung einer kommunalen Neugliederung ablesen lässt. Wesel sei geographischer, verkehrsmäßiger und wirtschaftlicher Mittelpunkt am unteren Niederrhein und alle umliegenden Gemeinden seien daher auf Wesel auszurichten. Der Raum um Wesel werde aber durch viele kommunale Grenzen und Zuständigkeiten zerschnitten. Vor allem die „unglückliche“ und „jeder Vernunft widersprechende“ Grenzziehung zwischen Wesel und Obrighoven-Lackhausen war Reuber ein Dorn im Auge. Insgesamt ging seine Konzeption aber über diesen Rahmen hinaus und umfasste drei Landkreise (Rees, Moers und Dinslaken), dreizehn Gemeinden und zwei Ämter.

Ein erster kleiner Schritt auf diesem Weg war die im Herbst 1966 erfolgte Bildung einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft mit der Gemeinde Bislich (Amt Ringenberg), was eine allgemeine Intensivierung der Kontakte Wesels mit den Nachbargemeinden bedingte. Den nächsten Schritt ging man im Juli 1967, als die Räte der Gemeinde Flüren und der Stadt Wesel am selben Tag und übereinstimmend einen Gebietsänderungsvertrag beschlossen und eine temporäre – bis zur späteren Eingliederung bestehende – kommunale Arbeitsgemeinschaft etablierten. Diese Einigung mit Flüren kam in den Worten von Stadtdirektor Reuber „schnell und überraschend“ zustande, habe aber dazu geführt, dass die verbliebenen Gemeinden des Amtes Ringenberg in einem „Gegenschlag“ wiederum eine Großgemeinde ins Leben riefen. Auch der Widerstand in Obrighoven-Lackhausen wuchs weiter und erreichte teils extreme Züge. Man hatte Angst, „Fußmatte, Mülleimer und Rumpelkammer“ Wesels zu werden. Seit 1824 waren die Gemeinden Obrighoven und Lackhausen innerhalb des Amtes Wesel vereinigt, aber erst 1848 wurde die bis dahin von Wesel mitverwaltete Gemeinde innerhalb des Landkreises Rees eine selbständige Bürgermeisterei. 1945 kam die Gemeinde kurzfristig zur Stadt Wesel zurück, wurde aber schon 1948 erneut selbständig, wollte dies um jeden Preis auch bleiben und wurde so die einzige Gemeinde des Landkreises Rees, die nur unter Protest und gegen ihren Willen die Eingemeindung erdulden musste.

Im Oktober 1968 besuchte der Regierungspräsident Hans Otto Bäumer das Kreisgebiet und gab dabei den Vertretern der Gemeinde Obrighoven-Lackhausen unmissverständlich zu verstehen, dass der Zusammenschluss mit der Stadt Wesel trotz allen Widerstands „nicht zu umgehen sei“. Reuber nahm in der Folge nun erleichtert gewisse „Auflockerungstendenzen“ in Obrighoven wahr. Im November verkündete er intern, dass in seinen Augen die Eingliederung als „sicher zu unterstellen“ sei.

Nach diesen langen Verhandlungen – es erfolgten drei Lesungen im Düsseldorfer Landtag – wurde am 24. Juni 1969 schließlich das „Gesetz zur Neugliederung von Gemeinden des Landkreises Rees“ veröffentlicht, wodurch Flüren und Obrighoven-Lackhausen zum 1. Juli 1969 offiziell zu Ortsteilen der Stadt Wesel wurden. Hauptargument für die erfolgte Eingliederung von Obrighoven-Lackhausen war dabei die ineinander übergreifende Bebauung sowie das zusammenhängende städtische Verflechtungsgebiet. Die Stadt Wesel und die Gemeinde Obrighoven-Lackhausen seien – so das Gesetz – eng miteinander verflochten, eine interkommunale Zusammenarbeit außer beim Sparkassenzweckverband würde es aber nicht geben. Diesen Missstand könne man nur durch die Eingemeindung beheben.

Die Einwohnerzahl der Stadt Wesel wuchs also schlagartig von 36.046 auf 46.360 an. Um demokratische Prinzipien zu gewährleisten, waren somit Neuwahlen unumgänglich und gesetzlich vorgesehen. Dazu ernannte der nordrhein-westfälische Innenminister Willi Weyer drei Tage nach der Veröffentlichung des Gesetzes Bürgermeister Nakaten zum „Beauftragten zur Wahrnehmung von Aufgaben des Rates und des Bürgermeisters“ und Stadtdirektor Reuber zum „Beauftragten zur Wahrnehmung der Aufgaben des Stadtdirektors“.

Am 9. November 1969 folgte dann die Kommunalwahl in Wesel, bei der 28.962 Wahlberechtigte immerhin 19.088 gültige Stimmen abgaben. Die CDU gewann mit 44,42% die Wahl hauchdünn vor der SPD (43,66%). In der konstituierenden Sitzung des Rates vom 26. November wurde Günther Detert (CDU) zum Bürgermeister ernannt, sein Stellvertreter wurde Alois (Karl Ludwig Aloysius) Wolters (FDP), der ehemalige Gemeindevorsteher von Flüren. Heinz Reuber wurde als Stadtdirektor im Amt bestätigt. Der ehemalige Gemeindedirektor von Obrighoven-Lackhausen, Erich Katerberg, wurde auf eigenen Wunsch mit Wirkung vom 30. November 1969 in den Ruhestand versetzt.

Für Reuber war die kommunale Neugliederung im Lippemündungsgebiet damit aber noch lange nicht abgeschlossen, denn die Eingemeindung von Flüren und Obrighoven-Lackhausen war für ihn nur die Teillösung eines viel größeren Projekts.

 

(Autor: Dr. Heiko Suhr)