Partnerschaften zwischen Städten der damaligen Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik hatten beim Fall der Mauer noch keine lange Tradition. Eine erste deutsch-deutsche Partnerschaft gab es seit 1986 zwischen Saarlouis und Eisenhüttenstadt. Sollten diese Verbindungen anfangs zunächst der politischen Verbesserung der innerdeutschen Beziehungen dienen, wandelte sich dieser Charakter nach den einzigen freien Kommunalwahlen in der DDR am 6. Mai 1990. Es ging jetzt für die westdeutschen Kommunen darum, fernab der großen Politik konkrete Maßnahmen zum Aufbau von kommunalen Verwaltungsstrukturen in der DDR durch Finanzmittel, Logistik und Beratung zu unterstützen.
Auch in Wesel wurde dieser Gedanke bereitwillig aufgegriffen. Die alte Hansestadt Salzwedel, im Nordwesten Sachsen-Anhalts gelegen, rückte dabei bald in den Mittelpunkt der Pläne. Die Idee dafür hatte Pfarrer Werner Abresch bereits 1987 aufgebracht, als erstmalig konkret in Wesel der Gedanke einer Partnerschaft mit einer Stadt in der DDR debattiert wurde. Das gemeinsame Erbe der Hanse mag dafür den Ausschlag gegeben haben. Im November 1987 wandte sich der Weseler Bürgermeister Volker Haubitz (CDU) erstmals offiziell an den Rat der Stadt Salzwedel, musste aber bald erkennen, dass aufgrund der komplizierten politischen Gemengelage eine Städtepartnerschaft nicht möglich war.
Erst Anfang 1990 gab es wieder Versuche in Wesel, die Idee einer deutsch-deutschen Partnerschaft umzusetzen. Der neue Weseler Bürgermeister Wilhelm Schneider (SPD) und der nunmehrige stellvertretender Bürgermeister Haubitz reisten Anfang Februar nach Salzwedel. Ende des Monats wurde in Wesel der Gegenbesuch aus Salzwedel empfangen. Das Ziel war klar, denn beide Städte wollten die schon aufgenommenen Kontakte und auch die bereits initiierten Weseler Hilfsmaßnahmen mit einem sichtbaren Zeichen beurkunden. So fasste schließlich am 28. Juni zunächst der Rat der Stadt Salzwedel und exakt zwei Monate später auch das Weseler Pendant den Beschluss zur Besiegelung der städtepartnerschaftlichen Beziehung. Schon Anfang Juni war zudem eine Delegation der Salzwedeler SPD nach Wesel gereist.
In einem feierlichen Akt im Weseler Rathaus wurde die Städtepartnerschaft schließlich am 16. November 1990 offiziell besiegelt. Die Bürgermeister und Stadtdirektoren aus Salzwedel und Wesel unterschrieben zwei Urkunden. Zu den Feierlichkeiten war eine dreißigköpfige Delegation aus dem „Kleinod im Nordwesten der Altmark“ angereist und erlebte u.a. musikalische Darbietungen des mitgereisten Kammerorchesters Salzwedel und des Männergesangvereins Fusternberg. Bürgermeister Schneider verkündete zum Abschluss, dass die Partnerschaft nicht eine bloße Hülle bleiben dürfe, sondern durch den „Kontakt von Mensch zu Mensch“ mit Leben erfüllt werden solle.
Schon vor dem offiziellen Akt unterstützte Wesel seiner Partnerstadt beim Aufbau demokratischer Verwaltungsstrukturen. So übernahm die Stadt Salzwedel die komplette Ämter- und Aufgabenstruktur Wesels und bekam vom Niederrhein auch sämtliche im Gebrauch befindlichen Verwaltungsformulare. Dazu waren der designierte Stadtdirektor Erwin Meier und der Hauptamtsleiter Herbert Storm persönlich für drei Tage nach Sachsen-Anhalt gereist. Meier betonte dort, dass er sich nicht als „Pate mit Patentrezepten“ sehe, sondern als Helfer in der Not. Die Stadt Wesel sagte auch zu, zwei Auszubildende des mittleren Dienstes in Salzwedel zu finanzieren und mit Praktika am Niederrhein zusätzlich zu schulen, um so dem Fachkräftemangel innerhalb der Verwaltung in Salzwedel auch langfristig entgegentreten zu können. Weiterhin wurde ein 17-Punkte-Programm verabschiedet, das auch die Lieferung von dringend benötigten Medikamenten sowie von Ausrüstungsgegenständen für die Salzwedeler Feuerwehr beinhaltete. Auch enge Kulturkontakte waren von Anfang an Teil der Partnerschaft, obwohl es ein aktives Vereinsleben in Salzwedel noch gar nicht gab.
1991 beteiligte sich die Stadt Salzwedel an den Kreiskultur- und PPP-Tagen in Wesel. Auch die jeweiligen Stadtmuseen etablierten schnell gegenseitige Kontakte. Ein Schriftentausch wurde ins Leben gerufen und zudem flossen fünftausend Mark aus dem Budget der Weseler Stadtbibliothek an die Kollegen und Kolleginnen in Salzwedel. 1994 wurde auf Weseler Vermittlung auch Felixstowe Partnerstadt von Salzwedel. Im September 1995 flogen als Zeichen der Verbindung mehrere tausend Brieftauben von Salzwedel nach Wesel.
Zur Feier des 25-jährigen Partnerschaftsjubiläums im Jahr 2015 fanden die Salzwedler Stadtoberen einen besonders handfesten und traditionsreichen Dank für die anfängliche Unterstützung aus Wesel und für viele Jahre des gemeinsamen Austausches. Sie schenkten ihrer Partnerstadt eine Baumkuchen-Bank, die im Rathaus vor dem Ratssaal einen würdigen Platz gefunden hat. So ist die Städtepartnerschaft zwischen Salzwedel und Wesel auch nach dreißig Jahren eine Partnerschaft mit gemeinsamen historischen Wurzeln und einem lebendig gelebten Miteinander.
(Autor: Dr. Heiko Suhr)