Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war Wesel Anlaufstelle für etwa 300.000 Kriegsfreiwillige, Einberufene und auch für erste deutsche Flüchtlinge aus Belgien. Gerade der Ansturm von Kriegsfreiwilligen war so groß, dass nach einigen Tagen keine mehr angenommen werden konnten. Diese vermeintliche Kriegsbegeisterung in Wesel kann aber nicht mehr als nur eine kurze Phase gewesen sein. Auch in den Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung war der Krieg zunächst kaum ein Thema. Aber am 29. Dezember 1914 machte Bürgermeister Ludwig Poppelbaum dann – wohl in Erwartung eines baldigen Kriegsendes – den Vorschlag, „zur dauernden Erinnerung an den Krieg und zum ehrenden Gedächtnisse der aus der Stadt Wesel gefallenen Kriegsteilnehmer“ ein Ehrenbuch anzulegen.
Das Protokoll der Sitzung hält fest, dass man sich zunächst darauf einigte, nur aktive Offiziere, Unteroffiziere oder Mannschaften aufzunehmen, die in Wesel geboren worden waren oder deren Eltern bei Kriegsausbruch in Wesel lebten, sofern auch die Söhne längere Zeit in Wesel verbracht hatten. Gefallene aus der Reserve, aus der Landwehr oder vom Landsturm sollten aber nur dann Aufnahme finden, wenn sie in Wesel geboren worden waren oder beim Kriegsausbruch hier gewohnt hatten. Poppelbaum regte noch an, im Ehrenbuch zunächst diejenigen Gefallenen zu nennen, die mit einem Ehrenzeichen wie dem Eisernen Kreuz dekoriert wurden und dann die restlichen Gefallenen in alphabetischer Reihenfolge. Jeder Eintrag sollte, so hielt es das Protokoll fest, Informationen zum Vor- und Zunamen, zum Geburtstag, zum Stand und zum Wohnort enthalten. Außerdem sollten der Name und der Stand des Vaters, der Name der Mutter, die mitgemachten Schlachten und der Ort der Verwundung oder des Todes nebst Bestattungsort aufgeführt werden.
Das Thema scheint aber innerhalb der Verwaltung über das Kriegsende hinaus kontrovers diskutiert worden zu sein, denn erst 1919 kam Bürgermeister Poppelbaum auf seine Idee zurück und schlug den Stadtverordneten abermals die Anlegung eines Ehrenbuchs vor. Über die Aufnahmekriterien sollte nun ein kleiner Ausschuss beraten. Infrage kommende Personen sollten durch Haushaltsbefragungen ermittelt werden. Die so zusammengestellte Liste lag Ende Februar 1921 vor, sodass der ursprünglich schon 1914 angeregte Beschluss zur Anlegung eines Ehrenbuches am 21. März 1921 in die Tat umgesetzt werden konnte. Das Kriegsehrenbuch wurde angelegt „zum ehrenden, dankbaren Gedenken unserer im Weltkriege gefallenen oder in Folge des Krieges verstorbenen Mitbürger, die ihr Herzblut dahingaben, um die Heimat zu schützen.“ Das künstlerisch durchaus anspruchsvoll hergestellte Buch enthält folgendes Vorwort: „Um den vielen Söhnen unserer Gemeinde, die in dem uns aufgezwungenen Krieg in treuer, soldatischer Pflichterfüllung Leben und Gesundheit hingegeben haben, ein Denkmal unauslöschlichen Dankes zu setzen und ihre Namen als leuchtendes Beispiel des Gemeinsinns der Nachwelt zu überliefern, hat die Gemeindevertretung von Wesel […] beschlossen, dieses Ehrenbuch zu errichten.“
Aufgenommen wurden schließlich – über die Vorschläge von 1914 hinaus – alle in Wesel geborenen Söhne Weseler Bürger ohne Rücksicht darauf, ob sie bei Kriegsausbruch oder beim Eintritt in Heer oder Marine auch in Wesel gewohnt haben. Auch diejenigen Soldaten, die nicht in Wesel geboren worden sind und die auch nicht im aktiven Dienst standen, sind erfasst worden, sofern sie beim Ausrücken in den Krieg Einwohner Wesels waren. Schließlich wurden auch Söhne von Weseler Bürger in das Ehrenbuch aufgenommen, die längere Zeit bei ihren Eltern in Wesel gelebt hatten, sofern die Eltern bei Kriegsausbruch oder während des Krieges in Wesel ansässig waren. Diejenigen Gefallenen ohne Weseler Bezug – außer dass die Stadt eben ihre Garnisonsstadt war – sind nicht aufgenommen worden. Eine Ausnahme davon wurde nur bei aktiven Offizieren gemacht, die in Wesel Wohneigentum besaßen.
Das auch als Eiserne Buch der Stadt Wesel bekannte Kriegerehrenbuch enthält in einem bedruckten Pergamenteinband mit zwei Metallschließen im Großfolioformat vorgedruckte, gebundene Blätter vom Verlag für Vaterländische Kunst aus Stuttgart. Auf 120 Blatt – davon die letzten 16 unbedruckt – werden handschriftlich die wichtigsten Lebensdaten von 622 im Ersten Weltkrieg gefallenen oder ihren Verletzungen erlegenen Weselern in alphabetischer Reihenfolge wiedergegeben. Das Kriegerehrenbuch ist im Stadtarchiv im Bestand des Niederrheinischen Museums archiviert. Der Verwaltungsbericht der Stadt Wesel für die Jahre 1913–1926 enthält zudem eine Liste der Gefallenen nebst den biografischen Daten.
Unter den Gefallenen waren auch sechs Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die aus formellen Gründen nur teilweise Eingang in das Kriegsehrenbuch fanden, denen aber seit 1923 in der Weseler Synagoge eine Gedenktafel gewidmet war. Die Synagoge und mit ihr auch die Gedenktafel wurden in der Pogromnacht im November 1938 zerstört. Seit 2005 wird durch eine neue Gedenktafel am Städtischen Friedhof an der Caspar-Baur-Straße wieder an das Schicksal dieser jungen Männer erinnert.
(Autor: Dr. Heiko Suhr)