Kunst im öffentlichen Raum ist manchmal kontrovers und mitunter auch umstritten. Oft sieht man ein solches Kunstwerk beim täglichen Gang zur Arbeit, nimmt es in seiner Gesamtheit und künstlerischen Intention aber kaum wahr. So ähnlich dürfte es auch der 1981 von Pierre Theunissen geschaffenen stilisierten Hand aus Bronze gehen, die im Innenhof des Weseler Rathauses steht.
Schon als Jugendlicher hatte Pierre Theunissen – 1931 im zu Kleve gehörenden Keeken geboren – beschlossen, Bildhauer zu werden. Er absolvierte nach dem Abitur zunächst von 1947 bis 1950 tatsächlich eine solche Lehre, die er aber abbrach. Nach einer Schreinerlehre folgte eine weitere, 1954 dieses Mal beendete Ausbildung als Bildhauer nachdem der zweite Lehrmeister sein Talent erkannt und gefördert hatte.
Seine akademische Ausbildung genoss Theunissen zunächst an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er vom Sommersemester 1954 bis zum Sommersemester 1956 freie Kunst und Bildhauerei u. a. bei Professor Zoltan Székessy (1899–1968) studierte. An der Hochschule für bildende Künste in Berlin vervollkommnete Theunissen seine Ausbildung schließlich.
Schon in der niederrheinischen Heimat traf Theunissen auf eine bunte Bohème um den weltbekannten Joseph Beuys, entschied sich aber 1958 trotzdem, die regionale Enge zu verlassen und nach Frankreich überzusiedeln. In Paris soll er sich im Umfeld von Picasso und Chagall bewegt haben. Mit dem Plan, nach Afrika auszusiedeln strandete Theunissen in Les Veyans – zwischen Nizza und Marseille –, heiratete dort 1963 die Malerin Jeanine Einaudi, wurde 1965 französischer Staatsbürger und lebte dann im benachbarten Le Tignet als anerkannter Künstler bis zu seinem Tod am 25. Februar 2021.
Erste Werke präsentierte Theunissen in Gruppenausstellungen ab 1962, 1966 erstmals auch am Niederrhein – in Kleve –, aber vor allem in Frankreich. Einzelausstellungen organisierte er ab 1967, 1978 dann erstmals in Wesel und Kleve, 1985 auch in Hamminkeln und 1989 erneut in Wesel und Kleve.
Bei der Ausstellung „Pierre Theunissen“, die vom 9. April bis zum 28. Mai 1978 in der Galerie in Centrum des Städtischen Museums Wesel zu sehen war, ragte ein Objekt besonders heraus: eine 1972 aus Palmenholz gefertigte, etwa zwei Meter hohe und sechzig Zentimeter breite und tiefe Holzskulptur namens „Hand“. Das weiche und formbare Palmenholz war bis zum Anfang der 1980er Jahre das bevorzugte Material von Theunissen. Er verband damit die Möglichkeit, zwar formal streng sein, aber eben doch organisch anmutende Werke voller Dynamik und Bewegung schaffen zu können.
Gemeinsam mit seinem Lebensfreund Werner Arand – dem damaligen Kulturamtsleiter der Stadt Wesel – wollte Pierre Theunissen über eine Ausstellung hinaus ein langfristiges und bleibendes Werk in Wesel schaffen. Die „Hand“ sollte, so die Idee der beiden, in eine öffentlich sichtbare Bronzefigur transformiert werden, die Holzvorlage außerdem in den Bestand des Städtischen Museums übergehen. Für beide Objekte investierte die Stadt fast 50.000 Mark, wovon ein Großteil an die renommierte Düsseldorfer Gießerei Kittel geflossen sein dürfte.
Die fast zwei Meter hohe Bronzeplastik – auf einem niedrigen Sockel stehend – ist dann am 28. Oktober 1981 im Rahmen einer kleinen Feier der Öffentlichkeit übergeben worden. Die Lokalpresse berichtete, dass damit endlich „Leben in den bisher eher nüchternen Rathaushof“ gebracht worden sei. Die Enthüllung nahmen der ersten Beigeordnete Werner Schepers und der Technische Beigeordneten Hansjörg Dimel vor, der dies derart schwungvoll ausführte, dass er für Sekunden völlig unter dem Tuch verschwand. Schepers bemerkte launisch, dass die Hand in Richtung Düsseldorf weise und daher auch als die öffentliche Hand interpretiert werden müsse.
Der Intention des Künstlers hat diese Auffassung aber nicht entsprochen. Ein unveröffentlichter Brief des Künstlers an seinen „Kulturfritzen“ Arand (zur Verfügung gestellt von seiner Biografin Marion Tauchwitz) enthüllt einen viel größeren Kontext als die Kommunalpolitik. Theunissen schreibt mit religiösem Pathos, dass mit der Aufstellung von „de Hand“ ein „gemeinsamer Kreuzweg“ zu Ende gegangen sei. Er wünschte seinem Kunstwerk die Kraft, „Kriege abzuweisen“ und der menschlichen „Maßlosigkeit“ Grenzen zu setzen. Die Intention von Theunissen war damit viel eher eine Mahnung auch an jeden Weseler Politikschaffenden, für eine bessere Welt einzutreten, der anonymen „Massenpolitik“ keinen Raum zu bieten und vor allem die „persönliche Verantwortung“ auch zu tragen.
Die Bronzeplastik „de Hand“ im Weseler Rathausinnenhof ist demnach nicht nach Düsseldorf ausgerichtet, sie strahlt stattdessen „in die Welt und den Weltraum“.
(Autor: Dr. Heiko Suhr)