Die Reformation in Wesel hatte seit ihrer Einführung im März 1540 stets sehr großen Einfluss auf die Stadtverwaltung und das Alltagsleben. Zu den weniger bekannten Personen der in diesem günstigen Umfeld sozialisierten Personen gehört der in Wesel geborene Remonstrant Carolus Niellius.
Sein um 1534 in Tournai geborener Vater Charles de Nielles war seit 1560 reformierter Prediger in Antwerpen, was er zu der Zeit im Geheimen und damit unter größter Gefahr praktizieren musste. Um August 1563 wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wegen des Verdachts der Ketzerei. Dieser führte schließlich 1566 zu seiner Verbannung aus Antwerpen. Um 1569 kam Charles de Nielles nach Wesel, wo er für fast drei Jahrzehnte als Pfarrer der wallonischen Gemeinde fungierte und es zu hohem Ansehen brachte. Schon im Herbst 1544 hatte die Stadt Wesel erstmals drei protestantische Wallonen aus Tournai, also aus den habsburgischen Niederlanden, aufgenommen, die vor der Religionspolitik ihres katholischen Landesherrn geflohen waren. Die Wallonen bildeten bald eine eigene reformierte Kirchengemeinde, die französischsprachige Gottesdienste abhielt und auch eigene Kirchenbücher führen durfte. Die wallonisch-reformierte Gemeinde wurde – mittlerweile mit der französisch-reformierten Gemeinde vereinigt – im Jahr 1806 aufgehoben.
Im Zuge der Besetzung rheinischer Gebiete durch das katholische spanische Heer unter Admiral Francisco de Mendoza im Winter 1598 verließ Nielles Wesel und begab sich nach Heidelberg. 1599 wurde er Pastor der wallonischen Gemeinde in Hanau, wo er 1604 auch verstarb. Für seine Weseler Gemeinde nahm er 1571 an der Synode von Emden teil, die als erste Nationalsynode der Niederländisch-reformierten Kirche gilt.
Sein bekanntester Sohn ist der am 15. September 1576 in Wesel geborene Carolus Niellius. Nach seinem Schulbesuch in Wesel studierte er Theologie in Marburg und Herborn sowie ab 1599 auch in Leiden. Er war ab 1600 zunächst als wallonischer Prediger in Köln tätig, ging dann aber 1604 nach Utrecht, wo er für fünfzehn Jahre als Prediger der Wallonischen Gemeinde amtieren sollte.
Schon zu dieser Zeit hat Niellius sich aber der remonstrantischen Bewegung angeschlossen. Er nahm die Ideale von Jacobus Arminius (1560–1609) auf, der als protestantischer Theologe einerseits die von Calvin postulierte doppelte Prädestination ablehnte. Calvin zu Folge gab es nach Gottes Ratsschluss eine Gruppe, denen die Seligkeit vorherbestimmt sei und eine andere, deren Vorherbestimmung die Verdammnis sei. Arminius glaubte hingegen an den freien Willen des Menschen. Der Arminianismus kennzeichnet sich anderseits durch die komplette Ablehnung aller Bekenntnissen und Dogmen aus. Diese Lehre wurde auf der Synode von Dordrecht 1618/1619 verurteilt. Niellius hatte diese Ideale u.a. in einem brieflich ausgetragenen Streit mit dem reformierten Prediger und Calvinisten Fabrice de la Bassecourt verteidigt. Die Auseinandersetzung gipfelte in der 1618 auf Französisch publizierten Streitschrift „Verification de la bonne foy de m. Fabrice de Bassecourt“ (Prüfung des rechten Glaubens von Herrn Bassecourt). Niellius’ Kontrahent war bis 1616 Prediger der reformierten Gemeinde in Köln und ab 1617 Prediger der wallonischen Gemeinde in Amsterdam.
In Folge seiner remonstrantischen Haltung wurde Niellius am 8. Februar 1619 seines Amtes enthoben und am 5. Juli 1619 durch einen Erlass der Generalstaaten aus Utrecht verbannt. Während seiner Utrechter Zeit – im Sommer 1609 – hatte Niellius Judith van Lierde geheiratet, die er wohl während eines Besuchs bei seinem Vater in Hanau kennengelernt hatte.
Niellius lebte mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern nun in Waalwijk und hat dort seine Arbeit fortgesetzt. Auf dem ersten größeren Treffen der Remonstranten in Antwerpen nahm Niellius teil und wurde zu einem der wichtigsten Unterstützter der führenden Köpfe um Simon Episcopius, Nikolaus Grevinchoven und Johannes Uytenbogaert. Niellius etablierte auch Kontakte zu Glaubensbrüdern in Schleswig-Holstein. Er wurde während eines Aufenthalts in Haarlem im Januar 1623 verraten, festgesetzt und im Mai zu lebenslanger Haft verurteilt. Diese hatte er mit anderen Remonstranten – u.a. Eduard Popius – im Wasserschloss Loevenstein nördlich von 's-Hertogenbosch abzusitzen. Dort saß bis 1621 auch der bekannte politische Philosoph und reformierte Theologe Hugo Grotius ein, der sich im April 1623 schon brieflich nach dem Schicksal Niellius’ und Popius’ erkundigt hatte und auch mit Niellius Vater brieflich in Kontakt stand. Popius verstarb bereits 1624 in der Haft, auch Niellius’ Ehefrau kam in Loevenstein ums Leben. In der Nacht vom 19. auf den 20. Juli 1631 gelang einer Gruppe um Niellius aber die Flucht aus dem Wasserschloss.
Niellius wirkte ab 1632 in Amsterdam als remonstrantischer Prediger. Im selben Jahr heiratete er ebendort auch zum zweiten Mal. Bis 1649 stand er seiner Gemeinde vor und verstarb 76-jährig am 28. Oktober 1652 in Amsterdam. Niellius gilt bis ins 21. Jahrhundert als einer der theologisch fundiertesten und einflussreichsten Remonstranten.
(Autor: Dr. Heiko Suhr)