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Stichtag: 26. Februar 1970 - Höchststand des Rheinhochwassers 1970

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Hochwasser ist keine Seltenheit in Wesel, wie ein Blick in die Geschichte – besonders in das Jahr 1926 – zeigt. Das Februar-Hochwasser des Rheins im Jahr 1970 ist weniger im öffentlichen Gedächtnis geblieben, obwohl es auch am Niederrhein zu den größten des Jahrhunderts zählt.

Im Januar 1970 kam es im gesamten Rheingebiet zu sehr starkem Niederschlag. Völlig untypisch für diese Jahreszeit waren zudem besonders große Temperaturschwankungen, die durch das Aufeinanderprallen von einem Tiefdrucksystem in Nordeuropa und einem atlantischen Tief mit milden Temperaturen entstanden. So meldete die Weseler Presse am 3. Februar noch so starken Eisregen in Nordrhein-Westfalen, dass vielerorts die Postzustellung zum Erliegen kam und fast alle Schulen geschlossen blieben. Auf den Autobahnen kam es zu tragischen Unfällen mit mehreren Toten und dutzenden Verletzten. Allein ein Düsseldorfer Krankenhaus meldete 220 Knochenbrüche durch Glatteis an nur einem Tag. Die Autobahnpolizei Hünxe meldete lapidar: „Bei uns ist die Hölle los.“

Schon einen Tag später stieg die Temperatur allerdings rasant an. Am stärksten war die Differenz in den Sauerlandtälern, wo die Temperatur innerhalb von nur 24 Stunden von minus 20 Grad auf vier Grad Celsius anstieg. In der Folge stieg der Pegel des Rheins ungewöhnlich heftig an, u.a. in Düsseldorf innerhalb von zwei Tagen um fast drei Meter. Die Rheinfähre bei Remagen stellte ihren Dienst ein. Viele Weseler Bauern bereiten sich darauf vor, ihre Milch in kleinen Booten und in Kannen gefüllt abzutransportieren, da die Zufahrten zu den Höfen zu überfluten drohten.

Am 11. Februar gaben aber die Weseler Behörden Entwarnung. Keiner müsse mehr Angst haben, war die einhellige Meinung der Experten. Der Pegelstand in Wesel lag zu diesem Zeitpunkt etwa neun bis zehn Metern über dem normalen Maß.

Nachdem es allerdings zu einem heftigen Abfall der Temperaturen kam, setzte abermals Schneefall ein. Dieser war auch am Niederrhein so stark, dass am 20. Februar ein Militärhubschrauber auf dem Weg nach Köln-Butzweiler in Wesel auf einem freien Feld nahe der Kurt-Kräcker-Straße im dichten Schneetreiben notlanden musste. Die Schneefälle gingen nur einen Tag später in Starkregen über, sodass am 22. Februar an fast einhundert Wetterstationen entlang des Rheins eine Niederschlagsmenge von mindestens fünfzig Litern pro Quadratmeter gemessen wurden. Der Regen und der deutliche Temperaturanstieg hatten den Schnee im Tiefland und im Mittelgebirge zum Schmelzen gebracht. Dazu kam, dass im Februar 1970 die Niederschlagsmenge – verursacht von kalter Meeresluft aus Nordwesten –fast dreimal höher lag als üblich.

Am 24. Februar meldeten die Weseler Tageszeitungen, dass das Hochwasser weiter steigen werde. Auf der Höhe Xanten/Bislich waren am selben Tag ein Matrose und ein Baggerführer beim Übersetzen vom Ufer auf ein Boot im Rhein ertrunken. Durch den nach wie vor starken Regen fielen zudem fast alle Kommunikationsverbindungen von und nach Wesel aus. Einen Tag später konnte man lesen, dass „die Flutwelle des Rheins“ erwartet werde. Die Weseler Feuerwehr wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Ab dem 26. Februar konnte allerdings endgültig Entwarnung gegeben werden. Der in Wesel gemessene Pegelhöchststand lag am 26. Februar bei 10,57 Metern. Obwohl das Wasser 2,26 Meter höher stieg als noch 1926, blieb die Weseler Innenstadt verschont. Das Wasser konnte sich in der Aue ausbreiten, schloss dort aber u.a. das Wardmannshaus von der Außenwelt ab.

Die Wetterlage beruhigte sich bald und auch der Niederschlag ließ deutlich nach. Insgesamt ging die Hochwasserperiode im Februar 1970 am Rhein relativ glimpflich zu Ende. Vor allem die Städte Mainz, Rüdesheim, Koblenz und Köln hatten unter größeren Überschwemmungen zu leiden. Die Schifffahrt am Niederrhein kam insgesamt für acht Tage vollständig zum Erliegen. In Wesel richteten die Wassermassen langfristig kaum größere Schäden an, sensibilisierten Politik und Verwaltung aber für einen nachhaltigen Hochwasserschutz.

Für einen in Wesel wohl bekannten, aber anonym gebliebenen Industriellen hatte das Hochwasser ungeahnte Konsequenzen. Am 28. Februar entdeckte die Wasserschutzpolizei auf einer durch die Flut entstandene Insel im Überschwemmungsgebiet zwischen Grav-Insel und Sporthafen den Unternehmer und seinen Sohn, beide mit Gewehr und Fernrohr ganz offensichtlich auf der – illegalen – Jagd auf dem kleinen Eiland. Die Polizei konfiszierte ein Kleinkalibergewehr mit Zielfernrohr und schenkte den Angaben des Vaters, er habe seinem Sohn nur das Schießen beibringen wollen, keinen Glauben und eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Wilderei.

 

(Autor: Dr. Heiko Suhr)