Das in der mehr als 150-jährigen Weseler Eisenbahngeschichte bisher am längsten als Bahnhof dienende Gebäude war ein Inselbahnhof. Es lag mitten zwischen den Schienen und war nur durch das Überqueren dieser Schienen an der späteren Bahnhofstraße zu erreichen.
Mit der Fertigstellung der Eisenbahnbrücke über den Rhein im Dezember 1874 musste der bisherige Bahnhof umgebaut werden, weil für die neuen Eisenbahnverbindungen über den Rhein, die Hamburg-Venloer Bahn und die Boxteler Bahn, zahlreiche neue Gleise benötigt wurden. Diese führte man an der anderen, der Stadtseite des Empfangsgebäudes vorbei und zwar über den Bahnhofsvorplatz. Der neue Vorplatz befand sich nun zwischen den Gleisen. Es musste ein neues Empfangsgebäude errichtet werden, dass um 90 Grad zum neuen Vorplatz gewendet war. Gebaut wurde es 1881 gemäß der damals geltenden Rayonbestimmungen aus Holz. Innerhalb eines vom Militär festgelegten Bereiches um die Festung Wesel waren Steinbauten, aber auch bloße Unterkellerungen, nicht erlaubt, weil sie bei Kriegsgefahr nicht schnell genug abzubrechen waren und so die Sicherheit der Festung hätten gefährden können. Das neue Gebäude mit Holzfachwerk und doppelten Bretterwänden konnte hingegen schnell niedergelegt und abtransportiert werden. Das Erscheinungsbild versuchte man über aufwändigere Holzarbeiten aufzuwerten. Die Holzbauweise barg allerdings stets die Gefahr eines Brandes.
Die neue Station bestand aus einer Schalterhalle sowie Wartesälen für die erste bis vierte Klasse und verfügte über eine wohl in einem Wartesaal untergebrachte Restauration. Zudem gab es eine Verkaufsstelle für Militärfahrkarten; das Militär hatte sogar eigene Übernachtungsmöglichkeiten im Ladebereich des Bahnhofs.
Außer den Wartehallen und den unmittelbar am Empfangsgebäude überdachten Bahnsteigen gab es für die Reisenden keinen Schutz gegen das Wetter.
Trotz der nach dem ersten Weltkrieg gefallenen Rayonbestimmungen beließ man es bei dem hölzernen Empfangsgebäude. Es wurde allerdings erweitert, umgebaut und auch teilweise unterkellert. Zuletzt, 1937/38, wurde der Bahnhofsvorplatz erweitert, um ihn den neuen Verkehrsbedingungen anzupassen: Man konnte ihn nun auch als Autoparkplatz nutzen. Einige Jahre zuvor waren bereits die Abstellmöglichkeiten für Fahrräder verbessert worden.
Das hölzerne Weseler Stationsgebäude überstand den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet. Es wurde nur beim ersten Bombenangriff am 16. Februar 1945 an einer Ecke zum Vorplatz hin getroffen. Ansonsten blieb es im Gegensatz zur völlig zerstörten Stadt relativ unbeschädigt und konnte genutzt werden.
Am 25. November 1945 brannte das Empfangsgebäude vollständig nieder. Die Ursache für diesen Brand konnte nicht geklärt werden. Man mutmaßte, dass eventuell ein überhitzter Kanonenofen oder die an jenem Tag Wesel verlassenden ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter das Feuer ausgelöst haben. Bis zum Bau des neuen Bahnhofsgebäudes Mitte der Fünfziger Jahre, das nun wieder vor den Gleisen gebaut wurde, musste man in Wesel mit einem Provisorium leben.
(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)