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Stichtag: 24. Februar 1578 - Übergabe der Geusenbecher an die Stadt Wesel

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Als Fernando Álvarez de Toledo (1507–1582) – besser bekannt als Herzog von Alba – 1567 zum Statthalter der Spanischen Niederlande ernannt wurde, kam die spanische Politik der Rekatholisierung in den niederländischen Provinzen zu ihrem gewaltsamen Höhepunkt. Die Rekatholisierung führte zusammen mit Protesten gegen königliche Steuern zu Aufständen und 1568 zum Achtzigjährigen Krieg zwischen Spanien und seinen nach Unabhängigkeit strebenden niederländischen Provinzen.

Als Folge von Gewalt und Unterdrückung kamen ab Ende 1567 zahlreiche Glaubensflüchtlinge ins protestantische Wesel. Die ersten Flüchtlinge lassen sich in den Weseler Neubürgerlisten sogar schon seit 1544 nachweisen.

In Wesel fanden die Geflüchteten gegen den Willen des Landesherrn Aufnahme. Neben wirtschaftlichen Gründen spielte die konfessionelle Nähe die zentrale Rolle für die Aufnahme ins protestantische Wesel. So vereinbarten schon 1568 reformierte Niederländer auf einem Konvent in Wesel den Aufbau einer eigenen Kirchenorganisation. Die in Wesel schnell umgesetzten Beschlüsse des Konvents wurden im weiteren Verlauf auch schrittweise von der lutherischen Stadtgemeinde übernommen, die so zunehmend mit der niederländischen Gemeinde zusammengewachsen ist. Viele Niederländer und Wallonen blieben in Wesel, erwarben hier das Bürgerrecht, wurden zu einflussreichen Kaufleuten oder wurden schon im 16. Jahrhundert als Ratsleute oder Schöffen in den Magistrat gewählt.

Ein Großteil der wallonischen und niederländischen Flüchtlinge verließ Wesel aber wieder, zog in andere Städte weiter oder kehrte in die alte Heimat zurück.

Sichtbarstes Zeugnis der Dankbarkeit dieser Flamen und Wallonen – in Wesel zusammenfassend „Geusen“ genannt – war die Übergabe von zwei Prunkpokalen an die Stadt. Nach Absprache mit dem Magistrat erfolgte die Übergabe der beiden Pokale – je einer von der flämischen und wallonischen Gemeinde – am 24. Februar 1578.

Diese bis in die Gegenwart hinein als Geusenbecher bekannten Pokale waren ein Zeichen des Respekts vor der gewährten Gastfreundschaft. Flamen und Wallonen verliehen der Stadt Wesel den Beinamen „Vesalia Hospitalis“ (gastliches Wesel).

Die aus vergoldetem Silber gefertigten Geusenbecher stammen von einem Mitglied der niederländischen Gemeinde Köln, dem Gold- und Silberschmied Gillis Sibricht – auch Willemsen von Sieburg genannt. Sie sind jeweils ungefähr 58 Zentimeter hoch und wiegen etwa zwei Kilogramm. Es sind Meisterwerke der Kölner Goldschmiedekunst von „außerordentlicher Schönheit in Komposition und Aufbau“. Auf einem hohen Fuß – mit reich verziertem, mit drei Henkeln versehenem Knauf – erheben sich die prächtigen Kelche. Die Deckel wiederum weisen je drei Kartuschen mit Köpfen und Festons (Schmuckmotive) auf. Als Krönung fungieren als Statuetten die Gestalten von stehenden bärtigen Ratsherren je mit Stab und Schild. Auf dem Mantel beider Pokale sind in Reliefdarstellung jeweils drei biblische Szenen dargestellt. Im Inneren der Deckel findet sich eine Reliefdarstellung vom Kampf zweier Reiter.

Beide Pokale sind kunstvoll graviert, der Flamenpokal u.a. mit der lateinischen Inschrift nach Matthäus 25, Vers 35 „Hospes fui et collegistis me“, was man mit „Ich war fremd und du nahmst mich auf“ übersetzen kann. Diesen Vers findet man z.B. auch auf einem Becher, den die Stadt Aachen von niederländischen Glaubensflüchtlingen erhalten hat. Am bekanntesten ist jedoch der Wesel verliehene Ehrenname „Vesalia Hospitalis“, der auf dem Rand des Deckels wie folgt umgesetzt ist: „Amplissimo senatui populoque Wesaliensi Belgico Germani (auf dem anderen: Belgico Galli) propter puram evangelii professionem patria pulsi ob acceptum in persecutione hospitalitatus beneficium hoc grati animi d. d. anno exilii XI et Christo nato 1578“ („Dem hochgeachteten Rat und den Bürgern von Wesel haben die Deutsch-Niederländer (auf dem anderen: die Wallonen), wegen des Bekenntnisses des reinen Evangeliums aus ihrem Vaterland vertrieben, aufgrund der in der Verfolgung empfangenen Gastfreundschaft diese Gabe als einen Beweis ihrer dankbaren Gesinnung überreicht im 11. Jahr ihres Exils und im Jahr 1578 nach Christi Geburt“).

Dass die Pokale bis in die Gegenwart hinein im Städtischen Museum Wesel öffentlich zugänglich sind, ist auch ein Verdienst der Weseler Stadtverwaltung am Ende des Zweiten Weltkrieges. Man hatte wohl kein rechtes Vertrauen auf einen günstigen Kriegsausgang und entschied sich, die berühmten Geusenbecher und fünf andere in städtischem Besitz befindliche Becher und Pokale am 21. September 1944 in einem Sarg auf dem Friedhof an der Caspar-Baur-Straße zu beerdigen. Im Friedhofsregister wurde offiziell „Gilles Sibricht, Soldat, gefallen auf dem nahen Kriegsschauplatz“ eingetragen. Erst Ende Januar 1946 erfuhr die neue Weseler Stadtverwaltung vom an der fingierten Bestattung beteiligten Friedhofsgärtner Details über den Verbleib der Geusenbecher, die schließlich geborgen, zunächst unter dem Ehebett des Stadtdirektors Wilhelm Groos in Sicherheit gebracht und schließlich bis August 1950 im Tresor der Duisburger Sparkasse sicher verwahrt wurden. Danach kamen sie dauerhaft nach Wesel zurück, wo sie in der Schatzkammer des Städtischen Museums zu sehen sind. Ausgeliehen werden die Pokale für Sonderausstellungen zumeist einzeln, so einer der beiden Pokale 1954 in Wesels Partnerstadt Hagerstown, 1975 nach Bonn oder der Wallonenpokal 1976 nach Gent. Beide Pokale zusammen wurden zuletzt 2017 in Essen für die Ausstellung „Der geteilte Himmel – Reformation und religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr“ im Essener Ruhr-Museum verliehen. Der Wallonenpokal war ebenfalls 2017 auch im Deutschen Historischen Museum in Berlin anlässlich der Ausstellung „Der Luthereffekt“ zu bewundern. Dazu war der Geusenbecher sowohl auf der Einladungskarte zur Eröffnung der Ausstellung als auch auf dem Begleitprogramm und auf allen Flyern zu sehen, was nachdrücklich die herausragende Bedeutung der Becher weit über Wesel hinaus unterstreicht.

 

(Autor: Dr. Heiko Suhr)