Eine der wohl bekanntesten Familien der neueren Weseler Geschichte ist die der Rigauds. Der katholische Kaufmann und Bauernsohn Jean Rigaud kam um 1795 aus dem Burgund zunächst nach Geldern und ehelichte dort die ebenso katholische Elisabeth Berger, zog dann aber mit ihr und den beiden Söhnen Franz und Lothar nach Wesel, wo er 1801 die Bürgerrechte erwarb. Dort führte er das Unternehmen Kalle & Rigaud, das vor allem Korn an die französische Armee lieferte. Die Familie muss relativ modern gedacht haben, denn auch die Ehefrau war kaufmännisch tätig und leitete die Geschicke eines florierenden Leinengeschäfts. In Wesel wurde schließlich der dritte Sohn Jakob geboren. 1812 lebte die Familie in der Schmalen Brückstraße und ab 1815 in der Feldstraße. Bis an sein Lebensende im Dezember 1844 sprach Jean Rigaud nur gebrochen Deutsch und sollte dem ganzen Wesen nach ein typischer Franzose bleiben, was auch durch die 1823 durch ihn begründete exklusive Weinhandlung unterstrichen wird. Die beiden älteren Söhne gründeten die Schifffahrts- und Speditionsgesellschaft Gebr. Rigaud, welche unter diesem Namen bis in die 1940er Jahre bestand, aber zuletzt nicht mehr in Familienbesitz war.
Im Folgenden soll es aber vor allem um eines der sechs Kinder aus der Ehe von Lothar Rigaud und seiner Ehefrau Henriette Kock gehen und zwar um den am 18. Dezember 1839 geborenen Alfred Rigaud, dessen Name bis heute in Wesel bekannt ist. Seine Jugend verbrachte er in Wesel und begann dort seine kaufmännische Ausbildung, die ihn aber auch in die Niederlande, nach Großbritannien und nach Frankreich – das Land seiner Ahnen – führte. Wieder nach Wesel zurückgekehrt trat er in das Bankhaus Poppe & Schmölder ein und heiratete bald darauf die einzige Tochter des Kompagnons Schmölder. Das Geldinstitut bestand seit 1840 und war das älteste der Stadt. Nach dem Tod der beiden Gründungsdirektoren übernahm Alfred Rigaud bald alleinverantwortlich das Ruder und führte die Bank in kurzer Zeit zu neuer Blüte. Das Kreditinstitut bestand trotz des immer größer werdenden Drucks der großen Provinzialbanken seit den 1880er Jahren unter Rigauds Regie bis 1905 fort und ging dann zunächst in die Essener Kreditanstalt und 1925 in die Deutsche Bank auf.
Seinen kaufmännischen Weitblick – das Ende der selbständigen Banktätigkeit vorausahnend – bewies Rigaud durch seine Beteiligung an einem der ältesten Weseler Industrieunternehmen. Zusammen mit seinem Schwiegersohn Hauptmann a.D. Oswin Grolig sowie mit dem Kaufmann Otto Krieg und dem Ingenieur Amandus Dieckmann gründete er 1901 die Weseler Maschinen GmbH an der Brüner Landstraße. Schon im September desselben Jahres wurde die Produktion von Riemen- und Seilscheiben, Schwungrädern, Gurttrommeln und Stufenscheiben begonnen. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten stieg das Unternehmen zu einem im In- und Ausland gefragten Produzenten von Graugussstücken auf. Nachdem 1910 Otto Krieg freiwillig ausgeschieden und Amandus Dieckmann im Dezember 1918 ermordet – er tat freiwillig Dienst bei der Weseler Bürgerwehr – worden war, handelte es sich bei der Weseler Maschinen GmbH um ein reines Familienunternehmen, das ab 1921 als WESMAG firmierte und bis 1979 bestand.
Dass der königliche Kommerzienrat Rigaud – den Ehrentitel durfte er seit der Jahrhundertwende führen – Widerstände nicht scheute und eher an ihnen wuchs, zeigt auch der Kauf der Diersfordter Gastwirtschaft Schnüran – im Besitz zweier Brüder, die beide bei Rigauds Bankhaus in der Schuld standen – im Jahr 1870. Die Wirtschaft lag mitten im Besitz von Graf Stolberg und war so neben einer Schmiede der einzige Fremdkörper in Diersfordt, der nicht im gräflichen Eigentum war. Rigaud ließ das alte Haus dort abreißen und schuf 1894/1895 nicht nur eine neue Gastwirtschaft, sondern auch gleich einen Sommersitz für sich und seine Familie. Den Gasthof verpachtete der Besitzer indes an Adolf Koch und dessen Schwester Constanze, die auch als Namensgeberin fungieren sollte.
Das eigentliche Familien-Refugium der Rigauds lag aber mitten in Wesel am Fischmarkt. Das Anwesen bestand zum einen aus einem alten Teil aus dem 17. Jahrhundert und zum anderen aus dem von Alfred Rigaud in Auftrag gegebenen Anbau. Beide Teile waren durch einen annähernd zwölf Meter langen und überwölbten Eingangsbereich verbunden, den große Gipsfiguren griechischer Gottheiten schmückten. Auch die Büro- und Geschäftsräume des Bankhauses Poppe & Schmölder waren hier untergebracht. Für eine enge Festungsstadt untypisch war der große und nach englischem Vorbild angelegte Garten mit einem Springbrunnen. Der englische Rasen war jedoch der ganze Stolz des Familienoberhaupts. Das Innere des Hauses wurde gekrönt durch eine Stuckdecke mit einer von Jan Christian Hansche ab 1672 geschaffenen Darstellung der Weihnachtsgeschichte. Die Stuckwerke sind kurz nach der NS-Machtergreifung 1933/1934 im früheren Schloss der Herzöge von Kleve in der Ritterstraße in Wesel, wo ein Heimatmuseum errichtet wurde, wieder verbaut worden. Den Wohlstand der Familie dokumentiert auch eine Einwohnerliste der Stadt Wesel von 1858, die neben der Familie auch die Hausangestellten Dina Issling (Köchin) und Elise König (Magd) aufführt.
Alfred Rigaud muss als einer der wirkungsmächtigsten Weseler des frühen 20. Jahrhunderts gelten. Er war eine hochgeschätzte Persönlichkeit, war als kluger und durchsetzungsfähiger Kaufmann und Bankier geachtet und verdiente sich auch als Beigeordneter im Stadtrat hohes Ansehen. Besonders sein Engagement – als Vorsitzender der Krankenhauskommission – für das heruntergekommene städtische Krankenhaus fand regen Zuspruch, da der Katholik Rigaud erreichte, dass das Hospital unter evangelische Trägerschaft kam, eine Oberin und mehrere Schwestern nach Wesel geschickt wurden und es nach und nach modernisiert werden konnte.
So erfolgreich Rigauds Berufsleben war, so sehr musste er private Schicksalsschläge ertragen. Bereits kurz nach der Heirat mit Marie Schmölder im Sommer 1865 wurden dem Ehepaar drei Kinder geboren. Der erste Sohn starb unmittelbar nach der Geburt, der zweite Sohn Alfred kam mit einem Schaden am Rückenmark zur Welt und bei der Geburt der Tochter Elsbeth – später verheiratet mit Rigauds Geschäftspartner Oswin Grolig – erkrankte die Mutter vermutlich an Tuberkulose und verstarb nach kurzer Ehe. Knapp drei Jahre nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete Alfred Rigaud im Sommer 1879 die aus Vluyn bei Moers stammende Emma Wevers, die in einem reichen Elternhaus aufgewachsen war aber mitansehen musste, wie ihr Vater bei einer geschäftlichen Transaktion betrogen wurde und voller Gram in die USA auswanderte. Früh zur Selbständigkeit genötigt, absolvierte Emma Wevers erfolgreich ihr Lehrerexamen, wanderte zur Berufsaufnahme in die Niederlande aus und lernte dann bei einer Reise zu ihrem Bruder nach Drevenack den Witwer Rigaud kennen. 1880 kam ihre Tochter Maria und 1881 ihr Sohn Lothar zur Welt. Keine zwei Wochen nach dessen Geburt starb Emma Rigaud an Wochenbettfieber. Alfred Rigaud war knapp vierzig Jahre alt, hatte vier Kinder und musste auch den Tod seiner zweiten Ehefrau verkraften. Die Tochter eines Bruders von Alfred Rigaud übernahm fortan die Erziehung der Kinder und den Haushalt im großen Anwesen. Am Ende des Ersten Weltkrieges musste Rigaud auch noch den Tod seines jüngsten Sohns Lothar ertragen, der zwar in der Heimat verwendet wurde, die nervliche Belastung des Militärdienstes aber nicht ertrug und kurz vor Kriegsende in einem Sanatorium verstarb.
Nach einem beruflich äußerst erfolgreichen Leben, innerlich aber wohl sehr einsam, verstarb Alfred Rigaud am 17. August 1924 nach kurzer Krankheit im von ihm so sehr geliebten Sommerhaus in Diersfordt.
(Autor: Dr. Heiko Suhr)