Mehr als ein Jahrhundert lang, von 1478 bis 1594, war der Turm der Willibrordikirche eines der weithin sichtbaren Wahrzeichen der Stadt und der ganze Stolz der Bürgerschaft. So hatte man bei der Planung und Errichtung des Turmhelms großen Wert darauf gelegt, die Salvatorkirche in Duisburg an Höhe zu überragen. Allein deshalb baute man den Helm zehn Meter höher als ursprünglich geplant und errichte so knapp 114 Meter.
Am frühen Nachmittag des 11. Januar 1594 entlud sich in Wesel ein heftiges Gewitter. Gegen halb drei schlug der Blitz unterhalb des Turmknopfs in den Helm ein. Dieser geriet in Brand und stürzte seitlich auf die Kirche. Er durchschlug das südliche, äußere Seitenschiff, zerstörte die dortigen Gewölbe bis zum Querschiff und richtete große Verwüstungen in der Kirche an, in der es bis zum nächsten Morgen brannte. Zugleich hatte man großes Glück, dass nur die Kirche und nicht ein sonstiges Gebäude betroffen war. Wäre die brennende Turmspitze in dicht bebautes Gebiet gefallen, hätte es leicht eine Brandkatastrophe geben können.
In der Kirche wurde der unter dem eingestürzten Gewölbe befindliche Nikolaus-Altar vernichtet. Der Altarraum wurde durch eine umgefallene Säule zerstört, wobei Altar, Lettner und Kirchengestühl untergingen. Umherfliegende Trümmer zerstörten weitere Altäre - auch an der Nordseite - und die Orgel, von der nur ein Teil der Pfeifen gerettet werden konnte. Die Heresbach-Bibliothek, die sich hinter dem Querhaus im äußeren südlichen Seitenschiff befand, wurde erheblich in Mitleidenschaft gezogen und wie die Orgelpfeifen in der Sakristei sichergestellt. Die südliche Giebelwand war stark beschädigt. Der Turm verlor nicht nur seinen Helm; sondern auch die Turmuhr und die Glocken, die in der Hitze geschmolzen waren.
Da die Kirche vorerst nicht mehr nutzbar war, mussten die Gottesdienste verlegt werden. Sonntags fanden sie in der Mathenakirche und wochentags in der leerstehenden Augustinerkirche an der Torfstraße statt.
Zur Wiederherstellung der Kirche wurde schon drei Tage nach dem Unglück die Malz- und Weizensteuer für ein Jahr um 25 Prozent angehoben. Mit diesen Einnahmen und den Spenden der Bruderschaften und reicher Bürger konnte die Kirche binnen kurzem wiederhergestellt und zwei neue Glocken, Kanzel sowie Altar in Auftrag gegeben werden. Bis die Glocken fertig waren, wurde eine Uhrglocke aus der Mathenakirche umgehängt. Die Stadt Wesel, bis 1887 Besitzerin des Kirchturms, des Uhrwerks und der Glocken, verzichtete wegen der enormen Kosten von mehr als 22.000 Talern auf die Erneuerung des Turmhelms. Stattdessen erhielt der nur mit Pfannen abgedeckte Turm 1598 ein flaches, hölzernes Notdach mit Laterne, das für 300 Jahre das Bild der Stadt prägte.
Das zerstörte Uhrwerk hingegen wurde alsbald ersetzt. Auf der Turmbrüstung wurden drei schlichte Ziffernblätter angebracht, die zum Großen Markt, zur Nieder- und zur Rheinstraße hin die Uhrzeit anzeigten.
Mit der Restaurierung am Ende des 19. Jahrhunderts erhielt die Kirche 1893 einen hohen, neugotischen Helm, der dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel. Der Turm wurde erneut mit einem flachen Notdach versehen, das 1978 in einer spektakulären Aktion durch einen Helm ersetzt wurde, der in Aussehen und Höhe der mittelalterlichen, 1594 abgebrannten Turmspitze entspricht.
(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)