Zum Autobahnprogramm des Dritten Reiches gehörte auch die insgesamt 66 Kilometer lange, sogenannte Hollandlinie, die das Ruhrgebiet von Oberhausen aus mit Arnheim, Amsterdam und Rotterdam verbinden sollte. Das erste Teilstück Oberhausener Kreuz–Wesel wurde bereits 1938 in Angriff genommen und war bei der endgültigen Einstellung der Bauarbeiten 1942 zu etwa 60 Prozent fertiggestellt.
Bereits 1951 forderten die Anrainer, der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk sowie die Industrie- und Handelskammern Duisburg und Essen den Weiterbau der Strecke, die bei der Festlegung des Europastraßennetzes 1949 in Genf als Ausbaulinie die Straßennummer E 36 erhalten hatte. Die anliegenden Städte drängten natürlich nicht nur aus ‚nationalem, deutschen Verkehrsinteresse‘ und zur Erschließung des nördlichen Ruhrgebietes auf den baldigen Weiterbau, sondern auch verständlichen egoistischen Motiven. In Wesel etwa lief der Fernverkehr über die B8 und damit mitten durch die Stadt. Die Autobahn würde den Durchgangsverkehr von und nach Holland aufnehmen und die Stadtstraßen erheblich entlasten.
1955 gehörte die Hollandlinie zu den Autobahnen in Deutschland, deren Bau von der Bundesregierung höchste Dringlichkeit eingeräumt wurde. Obwohl in der Gantesweilerstraße in Wesel sofort ein Baubüro eingerichtet wurde, stufte man in Bonn 1956 die Hollandlinie aus finanziellen Gründen zurück. Immerhin stellte Bundesverkehrsminister Dr. Hans-Christoph Seebohm noch im gleichen Jahr nach Verhandlungen mit den Niederlanden eine Fertigstellung der Autobahn für 1961/62 in Aussicht. 1958 fiel endlich der Startschuss zum Bau. Errichtet wurde aber erst einmal nur das Teilstück Oberhausener Kreuz–Wesel. Auf diesem 17,8 Kilometer langen Abschnitt mussten neben der 340 Meter langen Lippebrücke zwanzig weitere, kleinere Brücken errichtet werden. Die beiden anderen Teilstücke wurden zurückgestellt; ihre Fertigstellung war für 1965 geplant.
Für die neue Trasse nutzte man überwiegend die alte Streckenführung. Allerdings passte man die Autobahn den gestiegenen Anforderungen an und verbreiterte sie um 3½ Meter auf 30 Meter. Für den zusätzlichen Flächenbedarf musste Boden erworben werden. Trotzdem lagen die Ausgaben für den Bau drei Promille unter den veranschlagten Kosten von knapp 54 Millionen DM.
Im Juli 1961, ein Jahr später als geplant, waren die Arbeiten an dem ersten Teil der Hollandlinie soweit fortgeschritten, dass er eingeweiht werden konnte. Den Einweihungstermin bestimmte der Terminkalender des Bundesverkehrsministers, der es sich nicht nehmen lassen wollte, das neue Teilstück einzuweihen. Definitiv nicht fertig wurden bis dahin die Abfahrt Dinslaken-Süd, die Schilderbrücken sowie Imbisshalle, Tankstelle und Parkplätze in Hünxe.
Am 10. Juli 1961 war es soweit. Morgens um 8.30 Uhr übergab Dr. Udo Klausa, Direktor des LVR, als oberster Dienstherr des Autobahn-Neubauamtes Wesel dem am Morgen mit dem Zug angereisten Minister Seebohm im Beisein einiger hundert Gäste die fertige Strecke. Dieser zerschnitt mit einer vergoldeten Schere das weiße Seidenband. Eine halbe Stunde später folgte die Einweihungsfahrt; angeführt vom Minister in einem blauen Opel Kapitän. Mit 40 Stundenkilometern rollte ein von „weißen Mäusen“ (Ehren-Motorradeskorte) begleiteter Autokorso auf beiden Seiten der Autobahn Richtung Oberhausen. Am Autobahnkreuz wurde erneut ein Band durchschnitten; dann gab es noch einige Fachvorträge, bevor der Minister um 10.45 Uhr abreiste. Punkt elf Uhr gab die Verkehrspolizei das neue Teilstück für die schon wartende Öffentlichkeit frei.
(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)