Die teilweise schon Jahrzehnte bestehenden Städtepartnerschaften Wesels zu Hagerstown, Felixstowe, Ketrzyn und Salzwedel sind in der Hansestadt nicht nur formelle Akte belieben, sondern auch gelebte europäische Verbundenheit geworden. Dass aber auch Patenschaftsverhältnisse zu Schiffen der Bundesmarine bestehen, ist weniger bekannt.
Der Schnellboottender „Rhein“ (Kennung: A 58) war der erste seiner Art in Dienst gestellte und damit auch Typschiff der Rhein-Klasse, zu der noch weitere zwölf nach Flüssen benannte Tender gehörten. Das etwa einhundert Meter lange und über elf Meter breite Schiff – befahren von 110 Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften – diente der Versorgung und Führung kämpfender Schiffseinheiten, die dadurch viel länger unabhängig auf See operieren konnten. Die „Rhein“ war der bis dahin größte und modernste in Eigenregie erfolgte Neubau der Bundesmarine. Stapellauf auf der Hamburger Schlieker-Werft war am 10. Dezember 1959. Von vornherein stand fest, dass die Schiffe der Rhein-Klasse Patenstädte bekommen sollten, die entlang des namensgebenden Flusses lagen. Zudem hatte die Weseler Marinekameradschaft seit Bestehen der Bundesmarine 1956 immer wieder den Wunsch geäußert, dass die Stadt eines Tages eine Patenschaft für ein Kriegsschiff übernehmen solle. Die Schiffstaufe der „Rhein“ nahm somit zwei Tage nach dem Stapellauf Therese Kräcker, die Gattin des damaligen Weseler Bürgermeisters Kurt Kräcker, vor.
Schon an der Übergabefahrt der „Rhein“ Ende Oktober 1961 nahmen mit Bürgermeister Kräcker und Franz Keller, Vorsitzender der Marinekameradschaft Wesel, zwei Vertreter der Patenstadt teil. Nachdem er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, dankte Kräcker den Werftvertretern für ein perfektes Beispiel „deutscher Ingenieurskunst“. Keller hingegen sah sich zu einem Rückblick auf seine aktive Marinedienstzeit veranlasst. Der moderne Tender mit dem Weseler Stadtwappen am Bug habe ihm das Gefühl gegeben, selber wie die „reinen Wikinger“ agiert zu haben.
Am 6. November 1961 fand schließlich auf der Hamburger Schlieker-Werft die feierliche Zeremonie zur Indienststellung der „Rhein“ statt. Die Begrüßungsansprache übernahm der Kommandeur der Schnellboote, Kapitän zur See Biernbacher. Dieser betonte, dass der Bau eines Kriegsschiffes – gut 16 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges – nicht für kriegerische Absichten stehe, sondern für eine gemeinsame westeuropäische Verteidigung notwendig sei. Der Kommandant der „Rhein“ ging in seiner Rede auf die technischen Innovationen des Schnellboottenders ein, zu der u. a. die elektronische und an ein Radar gekoppelte Feuerlenkung gehörte. Der erst im Juni 1961 zum Korvettenkapitän beförderte Heiko Buddecke zeigt zumindest die personelle Kontinuität von der Kriegs- zur Bundesmarine, denn er hatte bereits 1938 eine Offizierslaufbahn eingeschlagen, die jedoch mit dem Kriegsende und der bedingungslosen Kapitulation vorläufig beendet war. Buddecke wurde dann zunächst Bauingenieur, trat jedoch bereits 1956 wieder in die Marine ein. Nach Buddecke sprach Bürgermeister Kräcker von einem Podest oberhalb des hinteren Geschützturmes aus und betonte dabei vor allem, die Patenschaft aktiv leben zu wollen. Gemeinsam mit Stadtdirektor Reuber ließ sich Kräcker dann den Tender und seine Mannschaft vorführen.
Das Patenschaftsverhältnis wurde gleichermaßen von der Marinekameradschaft Wesel und der Stadtverwaltung getragen. Regelmäßig zu Nikolaus waren Mannschaften der „Rhein“ in Wesel zu Besuch, um Waisenkinder mit Geschenken zu bedenken. Auch eine Kranzniederlegung an der Trauernden Vesalia auf dem städtischen Friedhof an der Caspar-Baur-Straße gehörte zum Programm. Zum zehnjährigen Bestehen der Marinekameradschaft Wesel im Jahr 1964 kam es zu besonders intensiven Kontakten. Auch auf den Weseler Schützenfesten waren Abordnungen der „Rhein“ regelmäßig nicht nur mit der Bordkapelle anwesend.
Durch die Stadt wurde nicht nur ein kleines Stadtwappen für die Kabine des Kommandanten überreicht, sondern auch ein transportables Fernsehgerät und eine vollständige Ausrüstung für die Fußballmannschaft. Die enge Verbindung spiegelt sich auch in den überlieferten Briefen zwischen dem Kommandanten der „Rhein“ und dem Weseler Bürgermeister wider. Waren diese anfangs noch förmlich-korrekt und ein wenig steif ob der Verschiedenartigkeit ziviler und militärischer Lebenswelt, stellte sich bald eine größere Kenntnis des jeweils anderen Alltags ein, der sich auch schön an den Anreden in diesen Briefen wiederfindet. Aus „Bürgermeister Kräcker“ und „Korvettenkapitän Buddecke“ war bald „Kurt“ bzw. „Heiko“ geworden.
Die Dienstzeit des Tenders „Rhein“ endete schlussendlich nach über drei Jahrzehnten mit der Außerdienststellung am 26. Juni 1992. Die „tenderlose“ Zeit in Wesel sollte allerdings nicht lange andauern, denn schon im März 1993 taufte in guter Tradition nunmehr Christel Schneider, Ehefrau des Bürgermeisters Wilhelm Schneider, mit dem Tender „Rhein“ (Kennung: A 513) das nächste Weseler Patenschiff, das vornehmlich für einen NATO-Marineverband im Mittelmeer operiert.
(Autor: Dr. Heiko Suhr)