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Stichtag: 06. August 1951 - Baubeginn der Bundesversuchssiedlung

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Zur Behebung der Wohnungsnot nach der Währungsreform 1948 waren Vorschläge gefragt, die praktikabel und kostengünstig sein sollten. Neben den sogenannten Schlichtwohnungen wurde 1951 eine sogenannte „familiengerechte Aufbauwohnung“ propagiert. Durch die Einsparung von Verkehrsflächen wie auch durch verminderte Bauqualität sollten Baukosten gesenkt werden. Das Bundeswohnungsbauministerium nahm diese Idee zweier Düsseldorfer Ingenieure auf und stellte in einem Sonderprogramm Mittel zur Verfügung, um die Idee in einem Großversuch umzusetzen. Damit beauftragt wurde die Wohnungsbaugesellschaft „Rheinische Heimstätten“ in Düsseldorf. Die Stadt Wesel bewarb sich für diese stark bezuschusste Variante des sozialen Wohnungsbaus und erhielt Ende März 1951 zusammen mit Jülich den Zuschlag für dieses „Bundesversuchssiedlung“ genannte Bauprojekt. Neben den hohen staatlichen Zuschüssen sollte die Siedlung durch Arbeitgeberdarlehen und durch Mittel der Stadt finanziert werden. Der Stadtdirektor hatte dafür bei den Weseler Unternehmern geworben und auch 15 Zusagen erhalten. Die Arbeitgeber stellten gerne Darlehen zur Verfügung, konnten sie doch nun eigene Facharbeiter als Mieter vorschlagen. Zudem gingen sie natürlich auch von Aufträgen an ihre Firmen aus.

Vorgesehener Baugrund war ein Teil der bisher unbebauten und dem Fiskus gehörenden Esplanade. Die Verhandlungen mit dem Fiskus gestalteten sich schwierig und verzögerten den eigentlich für den 15. Mai geplanten Baubeginn um mehr als zwei Monate. Als am 6. August 1951 endlich die Arbeiten anfingen, gab es zwar einen Vertrag, der aber der öffentlichen Förderung des Projekts widersprach und damit zu einer Klage führt. Der Streit um die Höhe des Erbzinses endete erst im Jahre 1952. Die Stadt musste den einen Prozent höheren Erbzins akzeptieren. Zudem gab es Schwierigkeiten mit dem Bauträger und den Weseler Unternehmen. Die Rheinischen Heimstätten nahmen nach längeren Verhandlungen nicht, wie erwartet, Weseler Baufirmen, sondern ein Unternehmen aus Kevelaer. Die Weseler Firmen, die als Darlehensgeber gewonnen werden konnten, protestierten aufs Heftigste, hatten sie doch geglaubt, mit günstigen Angeboten auch die entsprechenden Aufträge zu erhalten. Vier Blocks waren bereits vergeben und wurden von der Kevelaerer Firma errichtet; die restlichen sieben Blocks durften sich vier Weseler Bauunternehmen teilen.

Gebaut wurden zweigeschossige Häuser, die zu elf Zweier-, Dreier- und Viererblocks zusammengestellt waren; da es keine Treppenhäuser gab, besaß jede Wohnung einen separaten Hauseingang. Aufgrund des hohen Wohnungsbedarfes wurden pro Geschoss Trennwände für zwei Wohnungen errichtet, die in besseren Zeiten zurückgebaut werden konnten. Aus insgesamt 303 Wohnräumen gewann man auf diese Weise 108 Ein- bis Vierraumwohnungen. Eine Dreiraumwohnung hatte etwa 45 Quadratmeter.

Bereits nach zwei Monaten Bauzeit waren die ersten Blocks gerichtet; bis zum Ende des Monats folgten die übrigen. Richtfest war am 27. Oktober 1951 – einem Samstag – an dem unter anderem der nordrheinwestfälische Wiederaufbauminister Dr. Schmidt sowie Staatssekretär Wandersleb vom Bundeswohnungsbauministerium teilnahmen.

Am 19. Januar 1952 wurden die beiden ersten Blocks dem gemeinnützigen Bauverein Wesel übergeben und sogleich von zwölf Familien bezogen. Im Februar wurden weitere Einheiten bezugsfertig. Die beiden letzten Blocks, mit deren Bau erst später begonnen wurde, standen den neuen Bewohnern Ende April zur Verfügung. Noch nicht fertig gestellt waren die Außenanlagen, zu denen auch ein Kinderspielplatz gehörte, die erst im Laufe des Jahres hergerichtet wurden.

Die verminderte Bauqualität der Siedlung machte sich schon vor dem Einzug der ersten Familien bemerkbar. So waren etwa die Dächer nicht abgedichtet und Staubschnee drang in die Wohnungen ein. Die Bewohner beklagten sich zudem über die – bewusst in Kauf genommene– Hellhörigkeit. Die Vorgärten und Grünanlagen waren ebenfalls schon früh ein Stein des Anstoßes. Zum einen zeigten sie sich in durch intensive Nutzung respektive Vandalismus in einem desolaten Zustand, zum anderen war der Unterhalt so aufwändig, dass man sich fragte, warum man dann beim Bau so gespart hat. Die Siedlung hatte schon nach wenigen Jahren einen so miserablen Ruf, der auch durch Verschönerungsmaßnahmen wie etwa die Verklinkerung ab dem Jahre 1959 nicht mehr wiederherzustellen war. Von den einstmals elf Blocks an der Dresdner und Leipziger Straße stehen heute noch neun.

Die Bundesversuchssiedlung blieb ein Versuch, ein Projekt, das im deutschen Wiederaufbau nicht weiter verfolgt wurde.

 

(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)