Zum 1. Dezember 1949 ging nach erheblichen Meinungsverschiedenheiten insbesondere mit Bürgermeister Ewald Fournell Stadtdirektor Dr. Arno Brüggentisch freiwillig in die Finanzverwaltung des Landes NRW zurück. Für den Bürgermeister stand danach fest: Um einen geeigneten Nachfolger zu finden, durfte man nicht in den eigenen Reihen oder im näheren Umkreis suchen, sondern musste die Stelle bundesweit ausschreiben. Gesucht wurde eine Person, die nicht nur über außergewöhnliche Fähigkeiten in der Kommunalverwaltung verfügte, sondern die auch in der Lage war, auf dem Gebiete des Wiederaufbaues die notwendigen Maßnahmen durchzuführen sowie mit den zuständigen Stellen bei der Regierung und in den Ministerien mit Erfolg zu verhandeln. Die Ausschreibung war dem Inhalt nach nichts anderes als eine Beschreibung der Tätigkeiten, die Fournell selbst in seinem ersten Amtsjahr als Bürgermeister (!) ausgeübt hatte. Er hatte beim Amtsantritt versprochen, den Wiederaufbau voranzutreiben und auch Ziele genannt, an denen er nach einem Jahr gemessen werden wollte. Seine Leistungsbilanz stimmte und trotz Kritik am unguten Nebeneinander von Stadtdirektor und Bürgermeister bestätigten ihn im Dezember 1949 CDU, SPD und KPD als Bürgermeister. Fournell, der über kurz oder lang der Belastung von Beruf und politischem Amt – so wie er es ausgefüllt hatte – nicht standgehalten hätte, suchte letztlich sein Alter Ego, einen, der seine Arbeit mit gleicher Hingabe und Intensität fortführte.
Es kamen 95 Bewerbungen ein; gewählt wurde auf Vorschlag von Fournell mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP der langjährige Kämmerer der Stadt Papenburg, Dr. rer. pol. Karl Heinz Reuber. Die KPD enthielt sich, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass der Kandidat bei seinen Fähigkeiten lange bleiben würde. Der neue Stadtdirektor wurde am 15. Februar 1906 in Bergneustadt geboren und war seit 1933 Kämmerer der Stadt Papenburg. Als Kriegsteilnehmer geriet er in russische Gefangenschaft, aus der er erst im April 1949 zurückkehrte. Der Rat wählte ihn auf zwölf Jahre bei einem Jahr Probezeit.
Die Stellenausschreibung war Reuber auf den Leib geschrieben, was dieser auch von Beginn an so empfand: Gerne und mit Leib und Seele in selbständiger Stellung verantwortungsvolle, schöpferische Arbeit leisten sowie große Aufgaben mit Tatkraft und Beweglichkeit, mit Verstand und Herz, in völliger Hingabe anzufassen und zu erfüllen.
In seiner Antrittsrede versprach der neue Stadtdirektor, seine ganze Kraft jederzeit und rückhaltlos für die Stadt einzusetzen. Er betrachtete die vor ihm liegende Arbeit in Wesel als eine dankbare und lohnende Lebensaufgabe und hoffte, dass die gemeinsamen Anstrengungen der Verwaltung und der Stadtvertretung sich zum Wohle der Bevölkerung auswirken mögen. Er wollte daran mitwirken, Wesel wieder zu einer schönen und lebensfähigen Stadt zu machen.
Die Tatkraft, die der neue Verwaltungschef an den Tag legte, war bewundernswert und ist heute Legende. Er ging energisch den Wiederaufbau der Stadt mit all seinen Facetten an. Für den Aufbau von Wohnungen und Geschäftshäusern beschaffte er mit Beharrlichkeit die dafür notwendigen Finanzmittel beim Land wie auch beim Bund. Ihm gelang es, öffentliche Gelder, die in unterschiedlichen Wiederaufbau-Programmen angeboten wurden, für seine Stadt zu reklamieren, um nicht nur Wohnungen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Bedürfnisse, sondern auch Schulen, eine Stadthalle, ein Bühnenhaus und vieles andere mehr zu bauen oder bauen zu lassen.
Mit seiner gleichzeitigen Wirtschaftspolitik – der gezielten Anwerbung von Industrie – schuf er die Voraussetzungen für die benötigten Arbeitsplätze, die Wesels Attraktivität erhöhten und für einen raschen Anstieg der Bevölkerung sorgten. Binnen weniger Jahre erreichte die Zahl der Wohnungen wie der Bevölkerung wieder den Vorkriegsstand – und die Zahl wuchs durch die Ansiedlung großer Betriebe rasch weiter.
Er kümmerte sich persönlich um die zahlreichen Schwierigkeiten, widmete sich ihnen buchstäblich Tag und Nacht und überwachte ihre Lösung. Die Stadtverwaltung bewältigte diese Arbeit unter seiner Führung in mehr als vorbildlicher Weise. Er sorgte sich nicht nur um das Große, sondern hatte auch ein Ohr für die Probleme der „kleinen Leute“.
Reuber prägte in seiner gut zwanzigjährigen Amtszeit die Stadt nachhaltig. Als er am 25. November 1970 in den verdienten Ruhestand ging, konnte er auf eine äußerst erfolgreiche Zeit für die Stadt und für sich zurückblicken. Er hatte auch die Weichen für die Zukunft gestellt, etwa bei der kommunalen Neugliederung, für deren Zustandekommen und Durchführung er sich schon sehr früh und vehement zum Wohle „seiner Stadt“ eingesetzt hatte.
Die Stadt Wesel dankte ihm für seine Verdienste, indem sie ihm am 1. Juli 1970 den ersten Ehrenring der Stadt Wesel verlieh. Sechseinhalb Jahre später, am 17. Dezember 1976, gewährte sie ihm das Ehrenbürgerrecht.
(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)