Am 31. Mai 1809 scheiterte der Versuch des preußischen Majors Ferdinand von Schill, mit einem Zug in die französischen Satellitenstaaten einen Volkskrieg zu entfachen, um die napoleonische Gewaltherrschaft zu beenden. Der Zug geschah ohne Wissen des preußischen Königs und endete katastrophal. Schill – schon zu Lebzeiten ein Volksheld – fiel und elf seiner Offiziere sowie 557 Unteroffiziere und Soldaten gerieten in Gefangenschaft. Während letztere, von denen 14 am 18., 20. und 22. Juli in Braunschweig hingerichtet wurden, zur Zwangsarbeit nach Frankreich deportiert wurden, karrte man die Offiziere gemeinsam in diverse französische Festungen und schließlich über Geldern nach Wesel, wo sie in der zweiten Augusthälfte eintrafen. Hier sollten sie auf ausdrücklichen Befehl Napoleons nach einem Prozess als Straßenräuber hingerichtet werden. Wesel schien wohl als erst 1808 französisch gewordene vormalige preußische Festung bestens geeignet für diese Strafaktion. Die Weseler Bevölkerung nahm lebhaften Anteil am Schicksal der elf und unterstützte sie während der Haft, die sie im Hauptgebäude der Zitadelle in der später so genannten Schillkasematte verbrachten. Die Offiziere, die unterwegs erfahren hatten, welches Schicksal ihnen bevorstand, erhielten zwar einen Rechtsbeistand und wurden jedoch nach einigem Zögern befehlsgemäß zum Tode verurteilt. Der Prozess endete am 16. September. Den Offizieren wurde das Todesurteil verlesen; anschließend hatten sie eine Stunde Zeit, um Abschiedsbriefe zu schreiben und wurden dann durch die Stadt über das Berliner Tor zur Hinrichtungsstätte geführt, wo ihre Gräber bereits am frühen Morgen ausgehoben worden waren. Die kalkulierte französische Machtdemonstration verlief allerdings anders als geplant: So wurden vorsichtshalber Truppen aus Kleve zur Verstärkung heranbefohlen und am Hinrichtungstag schon früh die Tore geschlossen, um möglichst viel Publikum von der Erschießung abzuhalten. Nach der Exekution wurden die Toten entkleidet und in den vorbereiten Gräbern verscharrt. Hingerichtet wurden: Leopold Jahn, Daniel Schmidt, Friedrich von Galle, Friedrich von Trachenberg, Adolf von Keller, Friedrich Felgentreu, Konstantin Gabain, die Brüder Karl und Albert von Wedell, Johann Flemming sowie Karl von Keffenbrink.
Die Offiziere wurden aufgrund der Umstände ihres Todes sowie der minutiös überlieferten Vorgänge an ihrem Todestag zu tragischen patriotischen Helden, die vor den späteren Befreiungskriegen der Jahre 1813 bis 1815 für die Freiheit ihres Vaterlandes ihr Leben ließen. In Wesel errichtete das preußische Militär nahe der Hinrichtungsstätte über der Grabkammer ein von Friedrich Wilhelm Schinkel entworfenes Denkmal. Dieser 1835 eingeweihte „Altar des Vaterlandes“ wies Wesel natürlich einen besonderen, patriotischen Rang zu. An ihm fanden zu Ehren der Hingerichteten Gedenkfeiern statt, die trotz ihres mitunter pompösen Anscheins lange Zeit eher als Trauerfeiern angelegt waren.
Die Schillkasematte wurde 1852 ebenfalls Gedenkstätte, war jedoch bis 1896 nur für das Militär zugänglich und beherbergt seit 1980 das Schillmuseum.
Schill und seine Offiziere waren stets ein Gegenstand von Poesie, patriotischer Literatur und Belletristik, später auch des Kinos sowie auch lange Thema im Schulunterricht. Neben vielen Veröffentlichungen wurde die Erinnerung in zahlreichen bildlichen Darstellungen gepflegt; hierbei standen vor allem die Umstände des 16. September 1809 in Wesel im Vordergrund. Bewusst in Anlehnung an den Leidensweg Christi wurden Urteilsverkündung, Letzter Gang und besonders die Erschießung mit ihren zahlreichen überlieferten Einzelheiten immer wieder thematisiert und gerade über Postkarten weit verbreitet.
Das Schicksal der Schill’schen Offiziere ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie historische Ereignisse mystifiziert, ideologisiert und propagandistisch ausgenutzt werden können, ausgenutzt wurden und werden. Ihr todesmutiger Einsatz für das Vaterland wurde im späten Kaiserreich und im Ersten Weltkrieg als vorbildlich und nachahmenswert erachtet und während des Dritten Reiches gerade auch in Vorbereitung des Krieges propagandistisch ausgeschlachtet. Die Offiziere wurden zu Helden verklärt, deren Einsatz bis zum Letzten – für was auch immer – bei Bedarf nachgelebt werden sollte. In der antipreußischen Stimmung nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte man auch in Wesel, sich damals unliebsamer Überbleibsel preußischer Geschichte zu entledigen. Neben der teilweise durchgeführten Sprengung des Berliner Tores war vor allem die Umbenennung der Straßen im Schillviertel Gegenstand öffentlicher Diskussion. Die Straßennamen blieben schließlich bestehen, das abgebaute Denkmal wurde restauriert und wieder am alten Platz errichtet und 1959 beging man feierlich den 150. Jahrestag der Erschießung mit der Wiedereröffnung der Schillkasematte als Gedenkstätte sowie einer Gedenkfeier am Denkmal. 1965 schließlich erhielt die neue Kaserne im Blumenkamp den Namen „Schill-Kaserne“.
Zum 200. Gedenktag wird das Schillmuseum in der Kasematte mit einer zeitgemäßen Konzeption neu eröffnet. Zugleich findet im Preußen-Museum Nordrhein-Westfalen, Standort Wesel, eine Ausstellung zu Ferdinand von Schill, seiner Zeit und seinem Freiheitskampf mit dem Titel „Für die Freiheit – gegen Napoleon. Ferdinand von Schill, Preußen und die deutsche Nation“ statt.
(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)