Die Frühgeschichte Wesels
Die Frühgeschichte im Weseler Raum lässt sich nur schwer rekonstruieren. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sowohl der Rhein als auch die Lippe ihr Bett häufig verlagerten und etwaige Spuren früherer Besiedlung hinweggeschwemmt wurden. Funde in Kiesgruben bei Wesel-Bislich deuten jedoch auf eine Besiedlung in Bronze- und Steinzeit hin.
Im 1. Jahrhundert v. Chr. kamen die Römer an den Niederrhein. Man geht davon aus, dass um die Wohnstadt Colonia Ulpia Traiana (heute Xanten) und das Militärlager Castra Vetera (bei Birten) zu schützen, auf der rechten Rheinseite ein römischer Wachposten errichtet wurde. Beweise gibt es dafür jedoch nicht. Die erste nachprüfbare Ansiedlung auf heutigem Weseler Stadtgebiet enstand nach der Völkerwanderung und erlangte seine größte Bedeutung vermutlich zur Zeit des Frankenkönigs Karl des Großen, also um das Jahr 800. In mehreren Quellen wird der Stützpunkt Lippeham erwähnt, der wohl im Gebiet zwischen Flüren und Bislich gelegen hat, wo die Lippe einst in den Rhein mündete. Von hier brach der Kaiser mehrmals zu Feldzügen gegen Sachsen und Dänen auf. Was mit dieser Ansiedlung später geschah, ist nicht bekannt, vermutlich ging sie im Hochwasser beider Flüsse unter.
Lippeham kann somit nicht als Ursprung der Stadt Wesel gelten. Man geht vielmehr davon aus, dass ein großer fränkischer Gutshof den Ausgangspunkt für die Entstehung der Stadt bildete. Dieser Gutshof befand sich mit ziemlicher Sicherheit da, wo heute das städtische Centrum mit Bücherei, Kulturamt und Volkshochschule steht. Auch hier sind die Aufzeichnungen dürftig. Funde unter dem Willibrordi-Dom belegen jedoch, dass bereits im achten Jahrhundert auf Weseler Grund eine Kirche stand.
In einer Urkunde vom 1. Mai 1065 taucht der Name "Wesel" schließlich erstmalig auf. König Heinrich IV. bestätigt die Rückgabe der Kirche und des Besitzes der Villa Wisele an das Kloster Echternach. Das Urkundenbuch desselben Klosters enthält auch eine Urkundenabschrift, in der im Zusammenhang mit einer Schenkung aus dem 8. Jahrhundert erstmals der Name wesele auftaucht.
Vom Handelsort zur Hansestadt
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts fiel Wesel schließlich als Mitgift an die Grafen von Kleve. Begünstigt durch die geographische Lage war Wesel damals bereits Warenumschlagsplatz für Güter vom Rhein zur Lippe und umgekehrt geworden. Die Befreiung vom Reeser Zoll tat sein Übriges, um die Bedeutung der Siedlung Wesel am Rhein zu steigern.
Mit der Stadterhebung Wesels im September 1241 durch den clevischen Grafen Dietrich, erlangte die Weseler Bürgerschaft eine Reihe von Privilegien. Unter anderem wurde ihr freier Erbgang, Freiheit an allen landesherrlichen Zollstätten, alleinige Anklage vor dem städtischen Gericht - mit Rechtszug nach Dortmund, also außerhalb des Clevischen Territoriums - sowie eine höchstens eintägige Heranziehung zu Kriegsdiensten gewährt. Eine Ausweitung der Privilegien erfolgte bis 1277. Danach erhielt Wesel das Recht zur ungehinderten Durchführung des Wochenmarktes, das Braurecht, ein tägliches Gericht in der Stadt sowie Zoll- und Akziseeinnahmen.
Ohne Frage war die reichhaltige Privilegierung Grund für die rasche Blüte der jungen Stadt. Während sich der Weseler Handel im 13. Jahrhundert auf den Kauf und Verkauf von Lebensmitteln und Handwerkserzeugnissen wie Salz, Heringe, Eisen, Bauholz, Pelze und Wein beschränkte, erfolgte der große wirtschaftliche Aufschwung im 14. Jahrhundert durch die Verarbeitung eingeführter Rohstoffe sowie den Export von Fertigwaren. Besonders die Tuchfabrikation wurde zu einer Hauptquelle des Wohlstands.
Wesel trat schließlich 1407 der Hanse bei und erlangte bald eine derart einflussreiche Stellung, sodass die Stadt auf dem Lübecker Hansetag 1447 als eine der fünf Vororte des Kölnischen Hanseviertels anerkannt wurde. 1458 fand die erste Tagfahrt der westlichen Hansestädte in Wesel statt, der im 15. Jahrhundert noch viele folgten. Für die von den Niederlanden, aus Westfalen und weiter her eingeführten Waren wurde Wesel zum wichtigsten Stapel- und Umschlagplatz nach Köln. Handelsbeziehungen lassen sich zu den großen niederländischen Hansestädten, zum Londoner Stahlhof, aber auch zu Stralsund, Danzig, Reval, Riga und Bergen nachweisen.
Der wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung
Durch die prosperierende Wirtschaft wurde die im Spätmittelalter einsetzende große Bautätigkeit in Wesel finanzierbar. Allein zwei monumentale Rathausbauten innerhalb von 60 Jahren zeugen von der raschen Entwicklung der Stadt. Während der erste Rathausbau des Meisters Geliß von 1390 für den Nachfolgebau bis auf die Grundmauern abgetragen wurde, erlangte das Rathaus aus dem 15. Jahrhundert Bedeutung über die Stadtgrenzen Wesels hinaus. Das 1456 bis 1457 errichtete Gebäude zählte zu den bekanntesten niederrheinischen Profanbauten der Spätgotik und wurde zu einem Wahrzeichen der Stadt.
Wenige Jahrzehnte zuvor war fast zeitgleich mit dem Umbau der Willibrordi-Kirche (1424) und dem Neubau der Mathena-Kirche (1429) begonnen worden. Ursprünglich als dreischiffige Stadtkirche geplant, wurde der Willibrordi-Dom ab 1501 unter dem Meister Gerwin von Langenberg bis etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts zu einer fünfschiffigen Kirche umgebaut.
Die genannten und weitere große Bauvorhaben des 15. Jahrhunderts machten Wesel zu einem Mittelpunkt des künstlerischen Lebens am Niederrhein. Hier schufen die bedeutendsten Baumeister, Bildhauer, Bildschnitzer, Maler und Goldschmiede der Zeit. Barthel Bruyn, Derik Baegert und sein Sohn Jan Baegert, Jan Joost van Calcar, Heinrich Douvermann - klangvolle Namen des spätmittelalterlichen Kunstschaffens am Niederrhein - sind mit Wesel in Verbindung zu bringen. Aus der vorreformatorischen Zeit befindet sich noch heute das bekannte Gerichtsbild Derik Baegerts, das für den Gerichtsraum im spätgotischen Rathaus angefertigt wurde, in städtischem Besitz. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wird gemeinhin die Blütezeit der Stadt Wesel datiert.
Schon früh sympatisierte die Weseler Bürgerschaft mit der Reformation. Bei der Ratswahl 1525 zeigte sich der lutherische Einfluss bereits sehr deutlich. Ostern 1540 wurde im Willibrordi-Dom das Abendmahl schließlich in beiderlei Gestalt ausgeteilt. Von diesem Tag an galt Wesel als Stadt des Protestantismus, die viele Glaubensflüchtlinge aus den habsburgischen Niederlanden anzog. Die Bereitschaft der Stadt, den Verfolgten Schutz zu geben, brachte ihr den Beinamen "Vesalia hospitalis" ein.
Die 300-jährige Festungszeit
Die günstige Lage der Stadt und ihre wirtschaftliche Bedeutung weckten allerdings auch Begehrlichkeiten, die in kriegerischen Auseinandersetzungen mündeten und der Stadt in den folgenden Jahrhunderten zum Verhängnis wurden. Nach spanischer Besatzung wurde die Stadt 1629 von den Niederländern befreit. Ihnen folgten die Franzosen bis 1680 als Besatzer. Unter Kurfürst Friedrich Wilhelm begann die fast 300-jährige Festungszeit Wesels.
Die Stadt wurde nach modernsten Erkenntnissen der damaligen Zeit zu einer Festung umgebaut. Die städtische Ausdehnung wurde auf Altstadt und Mathena-Vorstadt beschränkt. Eine weitere räumliche Entwicklung über diesen Ring hinaus blieb ihr durch die sogenannten Rayon-Gesetze untersagt. Ein System von Gräben und Bastionen schnürte die Stadt ein. Von ehemals 13 Toren zur Hansezeit blieben lediglich vier erhalten. Neben einem Teil der Zitadellenanlage ist heute in Wesel noch das Barockbauwerk dieser Zeit weitgehend erhalten. Der Hofbaumeister von Friedrich Wilhelms I., Jean de Bodt, errichtete das Berliner Tor im Herzen der Stadt.
Im Dezember 1805 trat Preußen mit dem rechtsrheinischen Kleve die Festung Wesel an Napoleon ab. Die Preußen übernahmen 1815 schließlich erneut das Regiment in Wesel und bauten sie zu einer Garnisonsstadt aus. Infanterie, Artillerie sowie zuweilen auch Kavallerie und Pioniere, lagen in der Stadt am Rhein bis zum Ersten Weltkrieg. Trotz hervorragender infrastruktureller Bedingungen wie Rheinbrücken und Hafen sowie die Lage am Schnittpunkt mehrerer Eisenbahnlinien, konnte der wirtschaftliche Anschluss an das Ruhrgebiet nicht gefunden werden, denn Wesel hatte als Festungsstadt keine Entwicklungsmöglichkeiten. Die Entfestung der Stadt in den 1890er Jahren, in dieser Zeit entstanden übrigens auch die Ringstraßen um die Altstadt, kam zu spät.
Die Zerstörung und der Wiederaufbau Wesels
In den Jahren des ersten Weltkrieges von 1914 - 1918 war Wesel militärischer Sammelpunkt; tausende von Soldaten zogen von hier in den Krieg. Doch nachdem der Krieg verloren war, änderte sich das Bild drastisch. Die von den Siegermächten auferzwungene Entmilitarisierung des Rheinlandes ließ auch die Weseler Kasernen leer stehen.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 begann Deutschland Zug um Zug mit der Aufrüstung. Wieder einmal wurde Wesel ein wichtiger Ort für das Militär. Doch was ihr einst zu wirtschaftlicher Blüte verholfen hatte, nämlich die günstige Lage an Rhein und Lippe, wurde der Stadt wegen ihrer strategischen Bedeutung als Brückenkopf im Februar 1945 vollends zum Verhängnis. Im Bombenhagel alliierter Angriffe wurde die Stadt vor mehr als 70 Jahren nahezu vollständig zerstört; 97 Prozent der Innenstadt lagen in Trümmern. Der Wiederaufbau Wesels an alter Stelle, ab den fünfziger Jahren energisch vorangetrieben, gab der Stadt ein neues Gesicht.
Die heutige Zeit
Die Kreisstadt im Grünen hat heute rund 62.000 Einwohner. Alle Schul- und Weiterbildungsformen sind am Ort vorhanden. Wesel ist Standort der FOM - Hochschule für Ökonomie & Management. Darüber hinaus sind Volkshochschule sowie Musik- und Kunstschule für viele Menschen in der Stadt und aus der Umgebung gern in Anspruch genommene städtische Bildungseinrichtungen. Zwei Krankenhäuser, Altenheime und -tagesstätten, Kindergärten und Jugendfreizeitheime stehen beispielhaft für die umfassende Ausstattung Wesels mit sozialen Einrichtungen.
Das Städtische Bühnenhaus erfreut seine Besucher mit bedeutenden Tournee-Schauspielen und Konzertaufführungen. Das Lutherhaus gilt als beliebter Raum für die Durchführung von Kammerkonzerten. Die Stadtbücherei bietet den Leserinnen und Lesern ein breitgefächertes Angebot von rund 100.000 Medien. Das Städtische Museum-Galerie im Centrum, das Deichdorfmuseum in Bislich sowie das Städtische Museum Abteilung Schill-Kasematte in der Zitadelle stehen für die kulturelle Vielfalt in der Stadt. Seit Dezember 1998 steht im Körnermagazin der preußischen Befestigungsanlage ein Museum von überregionaler Bedeutung zur Verfügung. Mit finanzieller Unterstützung des Landes ist dort das Preußenmuseum Nordrhein-Westfalen eingerichtet worden, seit 2018 LVR-Niederrheinmuseum Wesel.