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Stichtag: 13. Januar 1823 - Matthias Jorissen verstirbt in Den Haag

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Es gibt einige Familiennamen, die eng mit der Stadtgeschichte Wesels verknüpft sind. Zu nennen ist neben der Familie Duden auch die Familie Jorissen, die vor allem durch ihre Familienstiftung, die 1761 von einem Matthias Jorissen ins Leben gerufen wurde, Bekanntheit erlangte. Zu dieser Familie gehörten u.a. Jacob Jorissen, der von 1718 bis 1722 Provisor der Waisenhausstiftung war und Henrich Jorissen, der 1703 als Provisor des Haltkinderhauses amtierte.

Der wohl wirkungsmächtigste Familienangehörige war aber der am 26. Oktober 1739 in Wesel als 14. Kind des Kaufmanns und Bierbrauers Theodor Jorissen geborene Matthias Jorissen. Er war ein Vetter des gleichnamigen Stiftungsgründers.

Nach einem Besuch des Weseler Gymnasiums zwischen September 1750 und 1758 stellte sich für ihn die Frage des Studienfachs. Er muss zwischen Theologie und Medizin geschwankt, aber von Anfang die Kirchenlehre bevorzugt haben. Da er seine Eignung dafür aber anzweifelte, wandte er sich an einen Verwandten, der ihn wiederum an den ebenso verwandten und in Moers geborenen Gerhard Tersteegen (1697–1769) vermittelte. Der schon zur damaligen Zeit hoch angesehene Kirchenlieddichter riet dem jungen Jorissen Ende Februar 1759 eindringlich per Brief, dass er Gott dienen solle und zwar entweder als Lehrer oder als Prediger.

Matthias Jorissen ließ sich von den Argumenten des Verwandten überzeugen und begann im September 1759 ein Studium der Theologie an der reformierten Universität Duisburg. Das Studium hat er wohl 1763 in Utrecht beendet und nahm dann eine Tätigkeit als Hauslehrer in seiner Weseler Heimat auf. Diese Tätigkeit, die oft einem Pfarramt vorausging, scheint Jorissen durchaus erfüllt zu haben, jedenfalls mehr als das eigentliche Studium, während dem er sich weniger von seinen Dozenten als von Außenstehenden beeinflussen ließ. Neben Tersteegen gehörte dazu vor allem der zehn Jahre ältere pietistische Pfarrer Johann Ludwig Fricker (1729–1766).

Fricker scheint nicht nur eine Art Vaterfigur für Jorissen gewesen zu sein, sondern diesen in seinem Charakter und seinem theologischen Eifer auch gemäßigt bzw. vor allzu harschen Urteilen gewarnt zu haben. Dennoch geriet Jorissen – in insgesamt durchaus unruhigen theologischen Zeiten am Niederrhein – in das Umfeld des Duisburger Gymnasialdirektors Johann Gerhard Hasenkamp, der einer pietistischen Sondergruppe angehörte. Die Fronten zwischen den Frommen – die sich in besonderen Kreisen trafen – und den von diesen sogenannten Kirchenchristen, die nur sonntags zur Kirche gingen, verhärteten sich zunehmend. Die Frommen wollten die ganze Kirche reformieren und im Sinne des Pietismus die individuelle Frömmigkeit permanent – und nicht nur in der Kirche – in den Mittelpunkt der gesamten Lebensführung stellen. In Wesel war von diesen Aktivitäten eher wenig zu spüren. Über diese Themen wurde allenfalls hinter verschlossener Tür getuschelt. Aber durch eine anonyme Flugschrift eskalierte 1768 auch in Wesel die Lage, denn diese führte die frommen Christen geradezu vor, was besonders Jorissen hart getroffen haben dürfte. Da sein väterlicher Freund Fricker zwei Jahre zuvor verstorben war, gab es niemanden mehr, der Jorissen hätte mäßigen können. Am 28. Februar 1768 predigt er in der Weseler Mathena-Kirche fast zwei Stunden gegen den Spottbrief. Blieb er dabei die meiste Zeit über sachlich, fand er zum Ende seiner Predigt mehr als drastische Worte. Er sei Gottes Ehre verpflichtet und müsse daher gegen die Hetzschrift Position beziehen. Er bezeichnete die Urheber gar als „garstige Schweine“. Die Predigt verbreitete sich in Wesel wie ein Lauffeuer und wurde allerorts lebhaft diskutiert. Die erste Konsequenz war ein unmittelbar erlassenes Predigtverbot für Jorissen, was die Unruhe in der Stadt allerdings kaum zu beruhigen vermochte. Anfang März 1768 überzeugte Jorissen sogar fast den Magistrat der Stadt von seiner Sichtweise, als er eine schriftliche Fassung seiner Predigt vorlegte und zusätzlich anmerkte, er reiche ein „Zeugnis der Wahrheit“ ein.

Das Blatt sollte sich erst wenden, als sich der hochangesehene Kommandeur des Füsilierregiments Eichmann – Friedrich Wilhelm von Gaudi (1725–1788) – meldete und seine Beteiligung an der Flugschrift eingestand. Der Magistrat lud Jorissen daraufhin mehrfach vor, was dieser jedoch ignorierte. Gaudi machte seinen Einfluss geltend und forderte ein hartes Durchgreifen der Stadtvertreter ein und warf seinem Kontrahenten „pöbelhaftes Verhalten“ vor. Die Stadtvertreter fanden eine pragmatische Lösung. Sie entledigten sich des Problems durch Einschaltung der preußischen Regierung in Kleve. Die dortigen Vertreter suspendierten Jorissen am 22. März 1768 von seinem Amt, gaben ihm aber die Möglichkeit, sein vermeintliches Unrecht einzugestehen. Dazu war Jorissen nicht bereit und musste daher preußisches Territorium verlassen.

Im Juni 1769 begann Jorissen in der reformierten Gemeinde Avesathen im niederländischen Gelderland dann eine Tätigkeit als Prediger. Zu dieser Zeit ehelichte er auch die Weselerin Johanna Sophia Helena Bird, in deren Elternhaus er während seiner Zeit als Hauslehrer gewohnt hatte. Die alltägliche Arbeit als Prediger veränderte Jorissen und machte aus dem impulsiven Eiferer einen sorgfältigen und reflektierten Theologen, der schließlich im März 1782 zum Prediger der deutschsprachigen Gemeinde Den Haag berufen wurde. In diesem Amt war Jorissen fast vier Jahrzehnte tätig und entdeckte dabei – in gewisser Weise seinem alten Mentor Gerhard Tersteegen nacheifernd – seine Passion für Kirchenlieder. Er begann mit einer neuen Bereimung der Psalmen und zwar so gut, dass ihn auch niederländische Kirchen als Berater für ihre neuen Gesangbücher in entsprechende Kommissionen beriefen. Sein Werk „Neue Bereimung der Psalmen, bestimmt für die reformirten deutschen Gemeinen im Grafenhaag und Amsterdam“ erschien in der Erstauflage 1798 in seiner Geburtsstadt Wesel. Jorissen hat darin in relativ moderner Sprache die Psalmen möglichst exakt übersetzt.

Im März 1818 trat Jorissen in den verdienten Ruhestand. Er verstarb am 13. Januar 1823 in seiner zweiten Heimat Den Haag.

Matthias Jorissen ist mittlerweile in Wesel nahezu vergessen, obwohl er in vielen Gottesdiensten präsent ist, denn als Textdichter zahlreicher Kirchenlieder ist er nach Martin Luther und Paul Gerhard der dritthäufigste Urheber im evangelischen Gesangbuch.

 

(Autor: Dr. Heiko Suhr)