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Stichtag: 05. Juni 1544 - Überfall auf jüdische Geldverleiher

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Im Jahre 1543 bemühten sich die klevischen Städte Duisburg und Wesel um die Aufnahme von Juden. Grund dafür war der große Kapitalbedarf in beiden Städten. Aufgrund des christlichen Zinsverbotes war es nur Juden und Lombarden erlaubt, Bankgeschäfte zu tätigen.

In Wesel ging die Initiative vom Rat aus, der am 2. Oktober 1543 beschloss, zwei Juden für zehn Jahre ein Wohnrecht einzuräumen. Dafür erhielt die notorisch klamme Stadt von diesen einmalig 300 Gulden und jährlich 20 Gulden. Die Aufgenommenen verpflichteten sich, alle bürgerlichen Lasten zu tragen. Sie wurden genau instruiert, wie sie sich in einer christlichen Stadt zu verhalten hatten: Keinerlei Aktionen, die in irgendeiner Form als gegen das Christentum gerichtet betrachtet werden konnten. Vereinbart wurde der Zinsfuß für Kredite, das Pfandwesen und sonstige notwendige Absprachen im Kreditwesen. Zudem wurde mit Rücksicht auf die religiösen Bestimmungen das Schlachten für den Eigenbedarf gestattet.

Die Brüder Aaron von Bacharach aus Fulda und Jacob zu Varenbach sowie Aarons Sohn Moses erhielten am 9. November 1543 den vereinbarten Schutzbrief, der den Zuzug auf Ostern 1544 festlegte. Die Stadt weigerte sich allerdings - aus gutem Grunde -, auch beim Landesherrn für ein Geleit zu werben. Der Landesherr war strikt gegen die Aufnahme. Zum einen beanspruchte er das Monopol auf das Judengeleit und zum anderen lehnte er die Aufnahme von Juden in Wesel generell ab. Er sah dies als Herabsetzung des Landes, befürchtete eine Beeinträchtigung des Handels, hielt als Christ die Anwesenheit von Juden für ein Ärgernis und sprach sich unter Berufung auf die Bibel gegen Bankgeschäfte aus. Auch die Bürgerschaft lehnte eine Aufnahme von Juden entschieden ab.

Obwohl innerhalb weniger Wochen zahlreiche Bürger bei den Juden Geld aufgenommen hatten, blieb die Stimmung innerhalb der Bevölkerung feindselig. Sie eskalierte, nachdem zum einen der Landesherr den Juden sein Geleit versagte und zum anderen Gerüchte aufkamen, die Juden hätten Kirchen betreten und bei der Austeilung des Heiligen Sakraments bae! gerufen. Am 5. Juni wurden die Juden in ihrer Unterkunft von etlichen Personen überfallen. Sie wollten sich anderntags beim Bürgermeister beschweren, doch dieser war plötzlich verreist. Nachmittags wurden sie noch fünfmal von Weseler Einwohnern heimgesucht, wobei ein Weseler Bürger Aaron beinahe umgebracht hätte. Der anwesende Stadtbote, der hätte einschreiten müssen, unternahm nichts.

Aaron und sein Bruder Jacob wollten trotz dieser Vorkommnisse und trotz der Vertragsverletzung seitens der Stadt, die ihren Schutzverpflichtungen nicht nachgekommen war, bleiben. Der Rat versuchte, die Juden zum Bleiben zu bewegen, verweigerte aber gleichzeitig eine Klärung der Vorgänge. Gegenüber dem Landesherrn versuchte er vergeblich, seine Position, die Vergabe des Geleits, durchzusetzen. Der klevische Kanzler und der für Wesel zuständige klevische Amtmann verwiesen am 7. Juli 1544 die Juden der Stadt. Obwohl tags darauf der Rat den Juden zusicherte, dass sie bleiben dürften, zogen diese es vor, die Stadt schnellstens und ohne Einlösung der Pfänder zu verlassen. Sie versuchten aus sicherer Entfernung, den ihnen entstandenen Schaden zu begrenzen, doch die Stadt war letztlich nicht bereit, ihnen zu ihrem Recht und Geld zu verhelfen.

Die Bürgerschaft machte in den darauffolgenden Jahrzehnten wiederholt bei den Magistratswahlen deutlich, dass sie gegen eine Aufnahme von Juden ist. Erst am Ende des 16. Jahrhunderts, nach 1583, durften sich Juden wieder befristet in der Stadt niederlassen.

 

(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)