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Stichtag: 02.Mai 1982 - Jutta Prieur-Pohl wird Stadtarchivarin in Wesel

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Die Stadt Wesel als einst größte und bedeutendste Stadt des Herzogtums Kleve verfügt über eine schriftliche Überlieferung, die bis in das Jahr der Stadterhebung 1241 zurückreicht.

Erstmals verzeichnet wurde das Archivgut in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 1877 gab die Stadt Wesel ihr Archiv dann nach langwierigen Diskussionen als Depositum an das Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf ab. Dort bot ein neues und feuersicheres Gebäude die Möglichkeit, Kommunalarchive sicher unterzubringen. In den späten 1930er Jahren bemühte man sich in Wesel aber schon um die Rückführung des Archivs. Treibende Kraft war der Gymnasiallehrer, Museumsleiter und spätere Stadtarchivar Adolf Langhans. Nach zähen Verhandlungen kehrten die Archivalien 1943 nach Wesel zurück und wurden im unteren Stockwerk des Herzogsschlosses untergebracht. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges mussten die Urkunden, die ältesten Handschriften, Amtsbücher und Akten sowie die Findbücher auf Verlangen der Provinz ausgelagert werden. In 16 Kisten verpackt wurden sie Ende 1944 in ein Salzbergwerk im Kreis Northeim transportiert. Dort vernichtete im Juni 1945 eine Explosion ihren Inhalt zum größten Teil. Der Großteil der Akten war jedoch in Wesel geblieben und wurde Ende 1944 in eine Kasematte des Haupttorgebäudes auf dem Zitadellengelände ausgelagert, wo sie bis zum Kriegsende verblieben. Gesichert wurden die Akten nach dem Krieg im Keller der Schule an der Blücherstraße. Von dort verbrachte die Landesarchivverwaltung im August und September 1945 diesen Bestand nach Schloss Kalkum, wo er bis 1946 unter der Obhut des Staatsarchivs blieb und dann in das Zentraldepot der Archivverwaltung nach Schloss Gymnich bei Kerpen umgesiedelt wurde. Die Stadt Wesel bemühte sich ab 1951 intensiv um die abermalige Rückführung. Im gerade im Bau befindlichen Rathaus schuf man dafür zwei Keller mit einer Größe von gut 75 Quadratmetern, die am 16. Juni 1952 bezogen werden konnten. Im neuen Rathaus am Klever-Tor-Platz stand dann sogar fast der gesamte Kellerbereich für das Archiv zur Verfügung.

Anfang der 1980er Jahre entschied man sich in Wesel, die Archivarbeit auf eine völlig neue Grundlage zu stellen und die Leitung des Archivs in entsprechend ausgebildete Hände zu legen. Zu den Bewerbern gehörte auch Jutta Prieur-Pohl. Die in Duisburg geborene, am Niederrhein aufgewachsene und in Köln mit einer Arbeit über ein Dominikanerinnenkloster promovierte Germanistin und Historikerin bewarb sich im September 1981 auf die neu ausgeschriebene Stelle. Nach Abschluss ihrer Ausbildung für den höheren Archivdienst an der Archivschule in Marburg übernahm sie am 2. Mai 1982 als erste wissenschaftlich ausgebildete Archivarin die Leitung des Stadtarchivs.

Neben der Verbesserung der Unterbringung, der Systematisierung sowie der Aufnahme und Verzeichnung aller Bestände gehörte die Restaurierung der durch Feuchtigkeit und Schimmel angegriffenen Bestände zu ihren vordringlichsten archivalischen Aufgaben. Diese Arbeiten konnten seit 1993 in einer eigenen großen Werkstatt durchgeführt werden, die in den Räumen der ehemaligen Kaserne VIII auf der Zitadelle untergebracht ist. Auf Anregung des Weselers Wilhelm Schulte-Mattler und nach Düsseldorfer Vorbild rief Jutta Prieur-Pohl 1994 auch die Heresbach-Initiative zur Rettung Weseler Handschriften und Bücher ins Leben. Seit fast drei Jahrzehnten können Privatpersonen und Firmen seitdem Patenschaften übernehmen und so das beschädigte Kulturgut retten.

Auch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit gehörte von Anfang an zum Aufgabenspektrum der im Mai 1984 zur Archivrätin (ab 1986 Oberarchivrätin) ernannten Archivarin. Die gewünschte auch überregionale Aufmerksamkeit stellte sich z.B. durch die WDR-Sendereihe „Mittwochs in …“ ein, die am 30. November 1983 in der Niederrheinhalle live gedreht wurde und in der neben Bürgermeister Schneider u.a. auch die Stadtarchivarin auftrat.

Jutta Prieur-Pohl belebte aber vor allem die noch vor dem Ersten Weltkrieg begründete historische Reihe „Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel“ 1983 wieder. In ihr erscheint seitdem jährlich mindestens ein Band zur Geschichte des Stadtgebiets von Wesel. Die Findmittel des Stadtarchivs werden bei Bedarf in der 1984 eingeführten Reihe Repertorien der Stadt Wesel publiziert. Aus der Feder der Stadtarchivarin erschien u.a. 1988 „Auf den Spuren der Juden in Wesel“ oder 1994 „Heimatfront Wesel 1939–1945“. Auch gab sie die große zweibändige „Geschichte der Stadt Wesel“ heraus. Es gelang ihr außerdem, die Heresbach-Stiftung in Kalkar wiederzubeleben, die junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fördert, die zu Geschichte, Kunst und Kultur des Niederrheins forschen. Durch das Engagement der Weseler Archivarin kam es auch zur Herausgabe der Schriftenreihe der Heresbach-Stiftung, in der entsprechende Forschungsbeiträge – zwischen 1994 und 2020 immerhin 17 Bände – publiziert werden.

Zudem organisierte Dr. Jutta Prieur-Pohl etwa jedes zweite Jahr in Zusammenarbeit mit dem Städtischen Museum Ausstellungen zu nicht nur stadtgeschichtlich bedeutenden Themen, wozu begleitend stets umfangreiche Kataloge erarbeitet und publiziert wurden. Beispielhaft genannt seien Ausstellungen zur NS-Zeit in Wesel (1983) und zu Konrad Heresbach (1996).

Unter der Regie von Frau Dr. Prieur-Pohl entstanden 1982 auch ein neuer Zeitungskeller, der allerdings nur für wenige Jahre Platz bot, und 1984 ein neuer Benutzerraum, in dem auch die gesamte Präsenzbibliothek und einige Mitarbeiter untergebracht waren. Die klimatischen Bedingungen im Hauptmagazin wurden durch den Einbau einer Luftwechselanlage verbessert. Aufgrund drohendem Wassereinbruch wurden schon 1991 die wertvollsten Archivalien – 13.000 Akten und 540 Amtsbücher – ins Kreisarchiv Wesel evakuiert. Die Archivalien blieben zwei Jahre dort, bevor sie in einen neuen, klimatisch befriedigenden Magazinraum – im ehemaligen Ballettsaal der Musik- und Kunstschule im Haupttorgebäude der Zitadelle – mit einer Kapazität von einem Regalkilometer eingelagert werden konnten. Die Archivverwaltung zog im Januar 1992 aus den Kellerräumen des Rathauses ins Haus Eich gegenüber dem Rathaus.

Zum 1. Dezember 1998 trat Frau Dr. Prieur-Pohl eine neue Stelle als Leiterin des Staatsarchivs Detmold und des Personenstandsarchivs Westfalen-Lippe an. Seitdem fungiert Dr. Martin Roelen als Leiter des Stadtarchivs, das seine Büroräume seit Mai 2001 und seine Magazine seit 2002 auf dem historischen Zitadellengelände in der ehemaligen „Baeckerey“ hat. Unter der Regie von Frau Dr. Prieur-Pohl war aus dem ehemaligen Ein-Mann-Betrieb ein wissenschaftlich geführtes Archiv mit vier Vollzeit- und drei Teilzeitstellen geworden, das nicht nur modernsten archivischen Standards genügt, sondern durch eine Vielzahl an Publikationen und Ausstellungen nun auch große Anerkennung innerhalb der Weseler Stadtgesellschaft genießt.

 

(Autor: Dr. Heiko Suhr)