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Stichtag: 01. September 1926 - Tod von Oberbürgermeister Fluthgraf

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Im Jahre 1890 hatte es die Stadt Wesel endlich geschafft. Die Verhandlungen mit dem Staat wegen des Erwerbs von Festungsgelände waren zu einem vertraglichen Abschluss gekommen. Die Stadt konnte endlich die Fesseln des Rayons abwerfen und sich erst einmal nach Norden und Osten ausdehnen. Städtischer Verhandlungsführer wie auch Motor der Planungen für ein erweitertes Wesel war der seit 1881 amtierende Bürgermeister Caspar Baur. Als dieser am 8. Januar 1891 einem Herzschlag erlag, schienen plötzlich all die Erwartungen, die man in die neue Zeit gesetzt hatte, gefährdet. Es musste ein neuer Bürgermeister gefunden werden, der quasi aus dem Stand die anstehende Mammutaufgabe übernehmen und bewältigen konnte. Unter den zahlreichen Bewerbern wurde am 4. April 1891 der aus Köln gebürtige 41jährige Dr. jur. Joseph Fluthgraf gewählt. Der Neue war seit 1884 Erster Bürgermeister in Grünberg/Schlesien gewesen und trat sein neues Amt am 26. September 1891 an.

Fluthgraf ging sofort die vielen verschiedenen Aufgaben für das „neue Wesel“, die sein Vorgänger ihm hinterlassen hatte, mit Verve an. Der Vertrag mit dem Militärfiskus offenbarte zahlreiche Lücken, die alle in zähen Verhandlungen beseitigt werden mussten. Die Bebauung des Festungsgelände zog sich dadurch unnötig hin. Die Lösung der Berliner-Tor-Frage mit dem letztendlichen Erhalt des heute noch vorhandenen Mittelstücks, die Feststellung des Bebauungsplanes, die langwierige Planung der Kanalisation, die Nutzbarmachung des Festungsgeländes, aber auch wirtschaftlich wichtige Themen wie der Bau des neuen Sicherheitshafens, die Schiffbarmachung der Lippe und der Ausbau der Werft samt Bahn gehörten zu den Problemen, die er gleich angehen musste. Es setzte ab 1895 auch eine rege private, wirtschaftliche wie militärische Bautätigkeit im bzw. vor dem ehemaligen Militärgelände ein, die das Gesicht der Stadt nachhaltig veränderte und allgemein sehr positiv bewertet wurde, da es sicht- und spürbar vorwärts ging. Die Stadt war mit ihrem neuen Bürgermeister sehr zufrieden und erhöhte ihm in nicht einmal fünf Jahren zweimal erheblich das Gehalt. Auch die Regierung zollte ihm Anerkennung und verlieh ihm 1896 den Titel „Oberbürgermeister“. Die Arbeit hinterließ bei Fluthgraf allerdings gesundheitliche Spuren und da seine beiden Amtsvorgänger im Amt starben, teilte er am 5. Dezember 1902 der Stadtverordnetenversammlung mit, sich nach dem Ablauf seiner im September 1903 endenden Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen „in das Privatleben zurückzuziehen“. Da Fluthgraf ein Angebot zur Wiederwahl ablehnte, folgten die Stadtverordneten seinem Wunsch und gewährten aufgrund seiner Verdienste ein gutes, erhöhtes Ruhegehalt. Zudem wurde beschlossen, „eine der verkehrsreichsten und vornehmsten Straßen der Neustadt nach seinem Namen zu benennen“. Bereits im Juli 1903 entschied man sich, die Ausfallstraße nach Norden vom Kornmarkt bis zu den Gleisen der Werftbahn an der Reeser Landstraße „Oberbürgermeister-Fluthgraf-Straße“ zu benennen.

Zusammen mit seiner Frau Fanny geb. Gemmer verbrachte Fluhgraf seinen Lebensabend in Würzburg. Dort verstarb er am 1. September 1926. Sein Leichnam wurde am 4. September nach Wesel überführt. Er wurde gleich am Güterbahnhof in Empfang genommen und mit einem festlichen Trauerzug zum Friedhof an der Caspar-Baur-Straße überführt. Dort setzte man ihn in einem vorbereiteten Ehrengrab bei.

Nicht nur in der Wahl seiner letzten Ruhestätte, sondern auch in seinem Letzten Willen zeigte sich Fluthgrafs Verbundenheit mit Wesel. Er setzte die Stadt Wesel als Erbin ein, die das Erbe aber erst nach dem Tod der Ehefrau – sie verstarb Ende 1944 in Würzburg – antreten konnte. Mutmaßlich sollte eine Stiftung zu kulturellen Zwecken damit ausgestattet werden. Durch die Bombardierung Würzburgs gingen die Wohnung der Verstorbenen samt zu verkaufendem Inventar und Testament verloren. Da Letzteres nicht wiederbeschafft werden konnte, musste sich die Stadt außergerichtlich mit zwei Erben einigen. Das verbliebene Vermögen von 46.000 Reichsmark ging 1946 zu gleichen Teilen an die drei Parteien. Der städtische Anteil wurde kulturellen Zwecken, insbesondere der Wiedereinrichtung der Stadtbücherei, zugeführt.

 

(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)