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Stichtag: 01. Juli 1935 - Verkauf der Reitzenstein-Kaserne – ein städtisches Gebäude

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Mit dem Vertrag zwischen dem Kaiserreich und der Stadt Wesel über die Entfestigung der Stadt im Jahre 1890 war endlich die Möglichkeit gegeben, die drangvolle Enge der Stadt zu verlassen. Die Stadtverwaltung konnte große Teile des aufgelassenen Festungsgeländes kaufen und zur Stadterweiterung nutzen. Auch dem Militär bot sich nun die Möglichkeit, den beengten Verhältnissen in der Stadt zu entkommen. Das Kaiserreich baute auf einem 1890 zurückbehaltenen Gelände am Klever Tor eine moderne Kaserne für die Feld-Artillerie. Diese wurde im Herbst 1897 vom in Wesel stationierten Feld-Artillerie-Regiment (FAR) 7 bezogen. Die baufällige Klosterkaserne an der Brüderstraße konnte endlich ebenso aufgegeben werden wie die Artilleriekasernen I und II. Als 1899 das neugegründete FAR 43 die Klever-Tor-Kaserne übernahm, musste das FAR 7 teilweise in die alten Artilleriekasernen I und II weichen. Am 10. Mai 1900 schlossen die Stadt Wesel und die Garnisonverwaltung Wesel einen Vertrag zum Bau einer neuen Kaserne für das FAR 7. Die Stadt, die ein Interesse am Verbleib des Regiments in Wesel hatte, verpflichtete sich, am Quadenweg (später Artillerie-, heute Friedenstraße) eine Kaserne zu errichten. Sie sollte vertragsgemäß auch ein Regimentskasino für die Offizierspeiseanstalt bauen, übernahm ebenso die umfangreichen Kanal- und Straßenbauarbeiten und erfüllte auch Sonderwünsche. So erhielt die Veranda des Offizierskasinos ein gläsernes Dach nebst gläsernen Seitenwänden und der dahinter liegende Garten erhielt einen Rasentennisplatz. Die Garnisonverwaltung mietete die Kaserne für 40 Jahre an. Nach zweijähriger Bauzeit konnte die Kaserne am 4. Oktober 1902 vom FAR 7 bezogen werden.

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg musste aufgrund des Vertrages von Versailles das Militär Wesel verlassen. Die Stadt Wesel erhielt ihre geräumte Kaserne am 1. April 1923 zurück, die teilweise umgebaut und an Privatpersonen vermietet wurde. Der Kasernenhof an der heute verschwundenen Lindenstraße wurde als Sportplatz genutzt und in einigen Gebäude an der heutigen Friedenstraße fanden die Gemüseauktionen der am 1. Januar 1930 gegründeten Genossenschaft Veiling Wesel statt.

Am 1. Juli 1935 verkaufte die Stadt Wesel ihre Kaserne an das Deutsche Reich, angesichts nicht ausgeglichener städtischer Haushalte nicht verwunderlich. Die Stadt hatte bereits 1934 begonnen, die Gebäude zu entmieten und Umbauten rückgängig zu machen. Der Kaufpreis betrug 800.000 Reichsmark zuzüglich 30.000 Reichsmark Mietausfall.

Die Liegenschaft wurde sofort der Landespolizei zugewiesen. Deren Weseler Abteilung wurde nach dem Einmarsch Hitlers ins entmilitarisierte Rheinland (7. März 1936) als Teil des Infanterie-Regiments 39 in das Reichsheer eingegliedert. Wesel war damit wieder Garnisonstadt.

Der heutige Name Reitzenstein-Kaserne für diese Militäranlage kam erst spät, etwa 1938/39, auf. Namengeber war Maximilian Gustav Freiherr von Reitzenstein (1859–1936), Kommandeur des FAR 7 1914/15.

Die Reitzenstein-Kaserne überstand den Krieg im Gegensatz zur Stadt völlig unbeschadet und wurde sogleich von Alliierten für ihre Militärverwaltung beschlagnahmt. Ab 1946 wurde die Kaserne Behördenviertel; hier waren neben der Stadt auch zahlreiche andere ausgebombte Verwaltungen untergebracht. Mit dem Wiederaufbau zogen diese in andere Quartiere um, so dass im Frühjahr 1953 hier das Hauptdurchgangslager für Sowjetzonenflüchtlinge untergebracht werden konnte. Nach dem Umzug des Lagers in die Gerhard-Hauptmann-Straße ging die Kaserne wieder in militärische Nutzung über. Die Bundeswehr zog mit dem Verteidigungskreiskommando Wesel und der Standortverwaltung Wesel ein.

Die Bundeswehr räumte 1996 die Kaserne und der Bund verkaufte im Jahre 2000 die langsam zerfallende und unter Denkmalschutz stehende Immobilie an einen Investor. Ab 2003 wurden die Kasernen in moderne Wohnungen und das Gelände in eine moderne Wohnanlage mit Seniorenheim und Wohnheim für geistig Behinderte umgestaltet. Bezugsfertig war die neue Anlage im Jahre 2006.

 

(Autor: Dr. Martin Wilhelm Roelen)