Born in the USA
Als 1865 der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten endete, forderten die amerikanischen Gewerkschaften erstmals einen Acht-Stunden-Tag. Bis dahin war es üblich, dass Arbeitnehmer*innen zwischen 11 und 13 Stunden arbeiteten.
Die Forderung verpuffte zunächst, bevor sie fast 20 Jahre später erneut in Angriff genommen wurde. Aus den Diskussionen heraus einigten sich die Gewerkschaften darauf, ihrer Forderung mehr Nachdruck zu verschaffen: Ab dem 1. Mai 1886 führten sie einen mehrtägigen Generalstreik durch.
Sie wählten den 1. Mai aus einem ganz banalen Grund. Er gilt in den USA als Stichtag für den Abschluss bzw. die Kündigung von Verträgen. Der „Moving Day“ ist mit dem in Deutschland für Vertragswechsel zentralen Datum 30. November vergleichbar.
Über 400.000 Arbeitnehmer*innen aus 11.000 Betrieben nahmen an den Streiks teil. Doch die Protestaktionen verliefen nicht wie geplant. Eine Aktion endete in einem Blutbad. Bei einer Kundgebung in Chicago explodierte eine Bombe, bei der sieben Polizisten ums Leben kamen. Laut Polizei führten Anarchisten, die der Arbeiterbewegung nahestanden, den Anschlag durch. In der Folge wurden vier Arbeiterführer zum Tode verurteilt. Die Bewegung war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Nur wenige Jahre nach den Ereignissen im Jahr 1886 beschlossen führende Gewerkschaftsvertreter*innen, am 1. Mai 1890 erneut eine Streikwelle auszulösen.
Von Amerika nach Europa
Diese Idee schwappte von den USA nach Europa. Bei einem internationalen Kongress in Paris am 14. Juli 1889 (100. Jahrestag des Sturms auf die Bastille) beschlossen die Delegierten, sich der Forderung der amerikanischen Gewerkschaften nach einem Acht-Stunden-Tag anzuschließen. Sie waren sich einig, dass die geplanten Versammlungen am 1. Mai 1890 als Tag der internationalen Kundgebungen sich weltweit etablieren sollten.
Schwarze Listen in Deutschland
Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die Pariser Beschlüsse. Auch in Deutschland wurden die Pläne diskutiert. 18 Gewerkschaften erklärten ihre Absicht, am 1. Mai zu streiken. Daraufhin drohten zahlreiche Fabrikanten mit Entlassungen und „Schwarzen Listen“, die auch zukünftige Einstellungen verhindern sollten. Doch davon unbekümmert beteiligten sich knapp 100.000 Arbeiter*innen in Deutschland an den Protestaktionen, unter anderem an den sogenannten „Maispaziergängen“.
Die „Geburt“ eines Dachverbands der deutschen Gewerkschaften
Zwar konnte die zentrale Forderung nach einer kürzeren Arbeitszeit nicht durchgesetzt werden, doch die Erfahrungen aus den gemeinsamen Aktionen schafften die Grundlage, dass sich 1890 ein deutscher Gewerkschafts-Dachverband gründete. Mit der „Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands“ war die Vorgängerorganisation des DGB geboren.
Der politische Arm der Gewerkschaften – SPD
Viele Mitglieder der Gewerkschaften waren zugleich Mitglieder der SPD. Die Partei war im Kaiserreich lange verboten. Nachdem die Partei 1890 wieder zugelassen wurde, beschlossen die Genossen*innen auf ihrem Parteitag 1890 den 1. Mai dauerhaft als Feiertag der Arbeiter*innen einzuführen.
Mit den zunehmenden internationalen Spannungen und dem daraus resultierenden Ersten Weltkrieg rückte die Forderung immer weiter in den Hintergrund. Im Streit um den Umgang mit dem Krieg zerbrach die SPD in zwei Parteien. Zudem distanzierten sich die immer radikaler werdenden Kommunisten (Spartakusbund, KPD) von der Sozialdemokratie.
1. Mai 1919 – Feiertag
Die Forderung nach einem gesetzlichen Feiertag am 1. Mai wurde in den Jahren nach dem Krieg sehr kontrovers diskutiert. 1918 verabschiedete die kommissarische Revolutionsregierung von SPD und USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) den 1. Mai als Feiertag. Die Regel galt jedoch zunächst nur für den 1. Mai 1919. In den Folgejahren machten bürgerliche Parteien gegen die Ideen der „proletarischen Diktatur“ mobil.
Blutmai in der Weimarer Republik
Auch im linken Lager war man sich nicht mehr einig. Die SPD präferierte einen Festtag. Die kommunistischen Verbände dagegen sahen die Akzentuierung des Feiertags im Klassenkampf. Dieser Konflikt fand seinen Höhepunkt im „Blutmai“ 1929. Kommunisten ignorierten ein Demonstrationsverbot in Berlin. Bei den Protesten kam es zu Schießereien. 28 Menschen verloren ihr Leben, darunter Unbeteiligte, die am falschen Ort zur falschen Zeit waren.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten
Wenige Monate später brach die New Yorker Börse zusammen. Weltweit kollabierte die Wirtschaft. Viele Menschen verloren ihre Arbeit. Der Unmut und die Verzweiflung wuchsen. Von dieser Lage konnten vor allem die Nationalsozialisten profitieren. Viele Menschen sahen in ihnen die „Retter“. Unter der Führung von Adolf Hitler gelang es ihnen, 1933 die Macht zu ergreifen.
Die Nationalsozialisten beschlossen wenige Wochen nach der Machtergreifung, den 1. Mai als „Feiertag der nationalen Arbeit“ einzuführen. Damit verbunden war die Idee, die Gewerkschaftshäuser zu besetzen. Die Schlägertrupps der SA und SS stürmten am 2. Mai die Gewerkschaftshäuser, verprügelten und verhafteten Funktionäre. Die Gewerkschaften wurden zerschlagen.
In den darauffolgenden Jahren nutzten die Nationalsozialisten den 1. Mai für ihre Propaganda. Der Tag bot sich an, mit großen Paraden und Aufmärschen sich gegenüber der Welt zu inszenieren. Im Schatten dieser Machtdemonstrationen setzten mutige Oppositionelle mit waghalsigen Aktionen immer wieder ihr Leben aufs Spiel. Unter anderem fällten Unbekannte eine Eiche, die Hitler am 1. Mai 1933 symbolträchtig in Berlin pflanzen ließ.
Der 1. Mai nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigten die Alliierten den 1. Mai als Feiertag. Die Besatzungsmächte gingen jedoch unterschiedlich damit um. Zum Beispiel durften in der amerikanischen Zone keine Transparente und Fahnen bei Veranstaltungen mitgeführt werden, wo hingegen es in der sowjetischen Besatzungszone zunächst mehr Freiheiten gab. In einem Punkt glichen sich die Veranstaltungen überall in Deutschland. Es waren kaum Männer zwischen 20 und 40 beteiligt. Wer nicht im Krieg gestorben war, befand sich in Gefangenschaft.
Deutschland wird zweigeteilt – Der DGB in der BRD gegründet
Als nach dem Krieg klar wurde, dass Deutschland zweigeteilt wird, änderte sich auch die Zielsetzung des Feiertags.
In der DDR nutzte das Regime den Tag, um den wirtschaftlichen Fortschritt zu präsentieren. Der Kampf um Arbeitsrechte spielte keine Rolle mehr. Anders in der Bundesrepublik Deutschland: Hier organisierte ab 1951 der 1949 gegründete Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zahlreiche Kundgebungen, die in einem kulturellen Rahmen eingebettet waren. Jedoch beteiligten sich in den darauffolgenden Jahren immer weniger Menschen an den Kundgebungen, so dass der DGB zunehmend Veranstaltungen konzipierte, die den Feiertag als Volksfest für die ganze Familie begriffen.
Zwei Staaten, eine Kundgebung
Zum 100. Jubiläum des 1. Mai in Deutschland fand 1990 nach fast 60 Jahren wieder eine freie gewerkschaftliche Mairede vor einem gesamtdeutschen Publikum statt. Zur selben Zeit versprach Helmut Kohl den Deutschen im Osten rasch blühende Landschaften. Viele Kritiker*innen warnten vor einem zu schnellen Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten. Doch daraus wurde nichts. Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 verloren binnen weniger Monate viele Menschen im Osten ihre Arbeit. Die Gewerkschaften machen bis heute auf die Unterschiede der Beschäftigten in West und Ost aufmerksam.
Die Transformation der Arbeit – der 1. Mai heute und in Zukunft
Der 1. Mai bleibt ein wichtiges Datum, um auf bestehende Missstände in der Arbeitswelt hinzuweisen. Die Themen haben sich jedoch geändert. Die Transformation der Arbeitswelt ist ein Prozess. So ist die vor über 150 Jahre aufgestellte Forderung nach einem Acht-Stunden-Tag für die allermeisten Menschen in Deutschland längst Realität. Neue Themen wie das Recht auf Homeoffice, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind dazugekommen. Die Corona-Pandemie hat diese Themen noch deutlicher und rasanter in den Fokus gerückt.