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Jean de Bodt und das Berliner Tor

Ein Tor
Neben den Türmen der Kirchen, die bereits aus der Ferne hinter den oft hohen Stadtmauern zu erkennen waren, gehörten Stadttore zu den ersten Bauwerken, die Besucherinnen und Besucher auf ihrem Weg in Städte wie Wesel erblickten.
Zumeist wurden diese Stadttore in wehrhaft wirkender Architektursprache und schlichten Formen ausgeführt.
Mit dem heute noch erhaltenen Berliner Tor erhielt Wesel jedoch mehr als ein nur befestigtes Stadttor. Hier vereinten sich Elemente barocker Schlossbaukunst mit königlichen Triumphpforten. Es war damit das architektonisch am aufwändigsten gestaltete Weseler Stadttor.

Was macht dieses Tor so besonders?
Schon auf der nach außen gerichteten Feldseite verteidigte das Berliner Tor sich nicht mit Schießscharten, sondern eher mit Bildern und Worten. Eine Inschrift zum Bauherrn (König Friedrich I. von Preußen) und das Baudatum 1722 gehören noch zu dem Üblichen. Die Gestaltung dieser Seite als klassische Triumphbogenarchitektur war in ihrer Zeit jedoch bereits etwas Besonderes. Sogenannte emblematische Bilder (in der Barockzeit sehr beliebte Bilderrätsel) verwiesen auf die Tugenden des Landesherrn, während die Torseiten von Götterfiguren bewacht wurden; Sinnbilder für militärische Weisheit und Stärke.
Im Tordurchgang selbst entfaltete die Architektur eine noch größere Eigenheit: nicht ein schlichter Durchgang, sondern ein Ovalraum mit aufwändiger Kuppel begrüßte die Ankömmlinge. Zur Stadt hin öffnete sich ein Platz, der mit seiner Rahmung durch die halbovalen Flügelbauten des Tores auch eines kleinen Palazzos würdig gewesen wäre.

Wer war der Baumeister?
Jean de Bodt (1670–1745) war ein in Paris geborener Glaubensflüchtling. Sein Talent für Mathematik und Zeichnen wurde bereits in jungen Jahren geschult, bei öffentlichen Lesungen der königlichen Architekturakademie entdeckte er sein Interesse für Architektur. 1685/1686 musste er Frankreich verlassen, weil der französische König Ludwig XIV. ab dieser Zeit keine protestantischen Untertanen mehr duldete. De Bodt hatte das Glück, in die niederländische Armee eintreten zu können, die einem jun-gen Kadetten wie ihm auch eine Ausbildung in der Militärarchitektur ermöglichte. Seine Fähigkeiten überzeugten und bald fand er sich als Ingenieur der Armee bei verschiedenen Militäreinsätzen in England, Irland und in den Niederlanden wieder. Hier lernte er auch die Architekturvisionen des niederländischen Hofarchitekten Daniel Marot (1661–1752) schätzen, wie er ein hugenottischer Flüchtling aus Frankreich.
Schon während seiner niederländischen Zeit fertigte er immer wieder Architekturentwürfe an. Ab 1699 stand er in Diensten des Kurbrandenburgischen Hofes in Berlin. Bereits 1702 ernannte ihn der nun preußische König zusätzlich zum Festungskommandanten in Wesel. 1713 begann de Bodt mit Zeichnungsentwürfen für das Berliner Tor. Hier konnte er im deutlich kleineren Maßstab verwirklichen, was für ihn in Berlin leider nicht umsetzbar war. So finden sich die Vorbilder des Ovalraums und der Eingangsseiten des Berliner Tores in de Bodts früheren Entwürfen für ein repräsentatives Invalidenhaus und die Königspforte in Berlin. Für die Bildhauerarbeiten engagierte er Guillaume Hulot (um 1652–1747) aus Berlin, der bereits in den Gärten von Schloss Versailles Skulpturen und Gartengestaltungen ausgeführt hatte.
De Bodts Berufsweg war in Wesel nicht zu Ende. Fünf Jahre nach Fertigstellung des Berliner Tores wechselte er als Generalleutnant an den Kursächsischen Hof in Dresden. Gegen Ende seines Lebenswegs galt sein Engagement der Verbesserung der Ausbildung von Bauingenieuren. Er legte damit die Grundlage für eine der Vorgängerinstitutionen heutiger technischer Hochschulen.

Ein Denkmal zeigt seine Wunden
Die Geschichte ging nicht zimperlich mit dem Berliner Tor um. Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert hatte es an der Feldseite seine Aufbauten verloren.
Die beiden Seitenflügel der Stadtseite fielen Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Schleifung der Stadtbefestigung neuen Verkehrskonzepten zum Opfer. Immerhin wurde der nun freistehende Kernbau dann im Stil der Zeit renoviert. Glücklicherweise rekonstruierte man Inschriftenfries und Wappenaufbau der Feldseite entsprechend den bekannten Vorlagen.
Bei der fast vollständigen Zerstörung der Weseler Innenstadt im Zweiten Weltkrieg hatte das Berliner Tor Glück im Unglück. Bombentreffer vernichteten zwar die Fassade der Stadtseite, aber das Bauwerk an sich blieb erhalten.
Beim stark vereinfachten Wiederaufbau des stadtseitigen Vorbaus entstand die Terrasse, die heute noch diese Seite des Tores prägt.
An die Tiefe der ehemaligen Stadtmauer erinnern seit 1984 die neueren Maueransätze mit Grünanlagen an den Seiten.
1982 wurde das Bauwerk in die Denkmalliste des Landes NRW eingetragen. Bei der Innenrenovierung 2020–2021 kam unter vielen Lagen nachträglicher Putze neben dem qualitätsvollen originalen Mauerwerk auch Wiederaufbaumauerwerk zum Vorschein. Teile von beiden wurde unverputzt belassen, um sowohl die Baukonstruktion, als auch die Spuren der Zeit für Besuchende sichtbar zu präsentieren.